Sonntag, 20. September 2015

Rezension: Rehruf von Julia Mayer


Genre: Urban Fantasy

Verlag: Eigenverlag
Seitenzahl: 323

Taschenbuch: 9,99 €
ebook: 1,99 €

1. Auflage: Dez 2014


"Ich bin ein Reh. 
Und die Welt ist ein Tal, 
das voller Hoffnung vor mir liegt." Pos. 793




Zum Inhalt

Schon seit ihrer Kindheit ist die 16jährige Inga krank, todkrank. Ihr Leben besteht aus schlimmen Phasen und besonders schlimmen, in denen sie kaum mehr die Kraft hat, aufzustehen.
Zusammen mit ihrer Mutter und ihrer 4 Jahre jüngeren Schwester Frederike lebt sie in dem kleinen Dörfchen Wasserwacht in Mecklenburg-Vorpommern. Die Besuche bei den Großeltern sind eine Qual, die vereinzelnten Schultage eine Farce und Inga weiß nicht mehr, ob sich in diesem Zustand ein Weiterleben überhaupt noch lohnt.
Doch dann kommt ihre Großtante Rani zu Besuch. Jahrelang hat sie sich von ihrer Familie ferngehalten - und der Grund dafür wird Ingas Leben für immer verändern ...

Meine Meinung

Entdeckt hab ich dieses Buch durch eine Rezension von Insi Eule und ihre Bücher. Durch ihre sehr positive Meinung und da ich immer neugierig auf neue Märchenadaptionen bin, wollte ich es unbedingt auch lesen :)

Gleich zu Beginn lernt man Inga kennen. Durch die Ich Perspektive erlebt man sehr eindrucksvoll, wie sehr sie schon seit Jahren unter ihrer schweren Krankheit leidet; unter ihrer Hilflosigkeit und den Schmerzen, die ihr nach und nach den Lebensmut geraubt haben.  

"Ich bin jung. Ich weiß, ich habe kaum gelebt, 
doch das, was ich hier führe, ist kein Leben mehr. 
Ich habe alle Phasen des Sterbens bereits durchlaufen. 
Ich bin bereit, ganz zu gehen." Pos. 169

Ihre Schwester Frederika hingegen, aus deren Sicht auch einige Passagen erzählt werden, hat ein sehr einsames Leben im Schatten von Inga geführt. Grade ihr Blinkwinkel hat mich sehr berührt und traurig gemacht, denn sie hat nie wirklich die Chance bekommen, neben ihrer Schwester aufzuleben. Auch das Verhalten der Mutter hat mich betroffen gemacht;  man weiß ja nie, wie Menschen nach schweren Schicksalsschlägen reagieren, aber das war schon beim Lesen schwer zu ertragen.

"Frederike hat es immer gestört und sie schämte sich, 
weil sie kurz nach Ingas Tod gehofft hatte, 
dass ihre Mutter nun endlich Zeit für sie hätte." Pos 920

Die Grundstimmung ist meist traurig, ja geradezu schwermütig und von Hoffnungslosigkeit durchtränkt, obwohl es auch kleine Momente mit Lichtblicken gibt. 
Mit ihrem Schreibstil hat Julia Mayer diese Atmosphäre wunderbar übertragen - teilweise fast schon poetisch und wirklich wunderschön und flüssig zu lesen - irritierend war für mich dabei zu Beginn aber diese Mischung mit der "banalen" Realität. So einen Stil kannte ich bisher noch nicht und es hat etwas gedauert, bis ich mich daran gewöhnt habe. Der Name des Ortes "Wasserwacht" z. B. hat mich leider immer an den Rettungsdienst erinnert, wodurch mir die magische Stimmung ein bisschen abhanden gekommen ist. Aber das ist mein ganz individuelles Problem :)

Ingas "neues" Leben als Rehdoppel bringt natürlich einige Schwierigkeiten mit sich. Angelehnt ist diese Idee an das Märchen "Brüderchen und Schwesterchen", in dem der Bruder zum Reh wird, nachdem er aus einer Quelle getrunken hat. Etwas mehr Bezug zu dem Märchen hatte ich mir allerdings schon erwartet - wer darauf spekuliert, sollte am Ende nicht enttäuscht sein!
Die Autorin hat hier eine schöne Idee verarbeitet, wobei mir manchmal ein bisschen mehr Tiefe gefehlt hat. Die anderen Figuren, die Inga in der "Rehdoppel"-Gemeinschaft kennenlernt, hätten viel Potenzial gehabt: es gab einige Andeutungen von denen ich mir erhofft hätte, dass da der Faden noch weitergesponnen wird. Hier sind immer wieder Momente verstrichen, aus denen man noch ein bisschen mehr hätte herausholen können.

Aber es gab auch einige spannende Aspekte und kleine Überraschungen, die meine Neugier zum Weiterlesen geweckt haben. Die Geschichte ist sehr bewegend und ein sensibles Konstrukt aus Schuld- und Rachegefühlen, dem Schicksal und dem Zusammenhalt von Gleichgesinnten. Durch den überraschenden Schluss fehlt mir ein bisschen der Sinn, den ich nach so einer gemütvollen Geschichte erwarte, dafür gibt es zwischendurch immer wieder sehr tiefgründige Details, die einem sehr zu Herzen gehen.

Zusammengefasst

Thematik: ???
Schreibstil: ungewöhnliche Mischung aus trauriger Realität und poetischer Tiefgründigkeit
Charaktere: Protas sehr präsent und einfühlsam, die Nebenfiguren etwas zu blass
Atmosphäre: teilnahmsvolle Melancholie mit schicksalhaften Spannungen
Umsetzung: der Stil war mir persönlich nicht ganz stimmig, was aber jeder sicher anders empfindet


Fazit

Eine sehr berührende und bedrückende Geschichte über zwei Mädchen, deren Schicksal so verschieden und doch unlösbar miteinander verbunden ist - mit einer wunderschön poetischen Sprache erzählt.


Bewertung


© Aleshanee


Über die Autorin: Julia Mayer wurde 1993 in Malchin geboren, lebt mit ihrer Hündin Leia an der Ostsee und schreibt seit ihrem vierzehnten Lebensjahr Romane. Nachdem sie sich mehrere Jahre lang erfolglos und frustriert durch den Alltags-Dschungel gekämpft hat, wagte sie im Dezember 2012 den Sprung ins Indie-Publishing. Seitdem veröffentlicht sie regelmäßig und tobt sich dabei gern in den unterschiedlichsten Genres aus. Je vielseitiger, desto besser.
Sie bezeichnet sich selbst gern als Frau mit Hund - immer auf der Suche nach dem richtigen Wort. 
Quelle: amazon

Nachtsang - Eine Rehdoppel Kurzgeschichte
(enthält Spoiler zu Rehruf, sollte also danach gelesen werden)

4 Kommentare:

  1. Gutrn Morgen liebe Alex,

    das Märchen "Brüderchen und Schwesterchen" gehört ja auch zu den etwas ernsteren Märchen. Da die Figuren schon mehr leiden müssen, bevor sie ihr Happyend bekommen.

    Wird denn in "Rehruf" erklärt an was für eine Krankheit Inga leidet? Es kommt nicht selten vor, dass die weiteren "gesünderen" Kinder weniger Aufmerksamkeit erhalten, als die kranken Kinder. Das macht mich betroffen. Vielleicht werde ich mir "Rehruf" mal vor nehmen.

    Hab einen schönen Sonntag.
    Liebe Grüße Cindy

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    1. Die Krankheit wird erklärt, ja, das steht auch anfangs sehr im Mittelpunkt.
      Was mich halt gerade bei dieser Thematik und Geschichte irritiert hat, dass ich den Sinn dahinter am Ende nicht ganz durchblickt habe. Ich brauch zu einem Buch immer eine Aussage, etwas, das mir denn Sinn dahinter zeigt - das hab ich hier einfach vermisst, oder ich war zu doof, um es zu verstehen ;)

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  2. Ah da ist ja die Rezi :D
    Bis auf ein paar Kleinigkeiten scheint dir das Buch ja doch ganz gut gefallen zu haben. Das freut mich ^^. So mit etwas Abstand betrachtet würde ich das Buch vielleicht auch nicht mehr ganz so gut bewerten (besonders nach einem gewissen anderen Buch ;)). Aber als ich es gelesen hatte, fand ich, dass es mal wirklich was anderes war. Aber nach einem Sinn zu suchen ist mir gar nicht eingefallen irgendwie, sonst hätte ich das vielleicht in meiner Rezi auch noch angemerkt... Du hast auf jeden Fall Recht.
    Oh und die arme Frederike, die mochte ich ja auch so gerne und der Handlungsstrang ist wirklich sehr sehr rührend / traurig gewesen.
    Vielen Dank fürs Verlinken ♥

    Liebe Grüße
    Insi Eule

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    1. Gerne Insi :)
      Ich such in jedem Buch nach dem Hintergrund, oder dem "Sinn", irgendwie steckt das ja in jeder Geschichte ... zumindest sollte es meiner Meinung nach so sein (hab ich mal in einem Schreib-Ratgeber gelesen *g*)
      Und grade bei diesem Thema hatte ich das eigentlich schon erwartet - aber vielleicht ist die Aussage ja auch, dass es einfach keinen Grund gibt, für das, was passiert ;)

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