Runa
von Vera Buck
Genre: Historischer Thriller
Verlag: Limes
Seitenzahl: 608
Hardcover: 19,99 €
ebook: 15,99 €
1. Auflage: Aug 2015
Klappentext
Paris 1884. In der neurologischen Abteilung der Salpêtrière-Klinik führt
Dr. Charcot Experimente mit hysterischen Patientinnen durch. Seine
Hypnosevorführungen locken Besucher aus ganz Europa an; wie ein Magier
lässt der Nervenarzt die Frauen vor seinem Publikum tanzen. Dann aber
wird Runa in die Anstalt eingeliefert, ein kleines Mädchen, das all
seinen Behandlungsmethoden trotzt. Jori Hell, ein Schweizer
Medizinstudent, wittert seine Chance, an den ersehnten Doktortitel zu
gelangen, und schlägt das bis dahin Undenkbare vor. Als erster Mediziner
will er den Wahnsinn aus dem Gehirn einer Patientin fortschneiden. Was
er nicht ahnt: Runa hat mysteriöse Botschaften in der ganzen Stadt
hinterlassen, auf die auch andere längst aufmerksam geworden sind. Und
sie kennt Joris dunkelstes Geheimnis …
Meine Meinung
Über das Buch hab ich ja in den letzten Monaten viel gehört. Vor allem positives, aber immer mit dem Vorbehalt, dass es durch das Thema "sehr bedrückend und nichts für schwache Nerven" ist. Die Atmosphäre ist durch die psychatrische Klinik und dem unsensiblen, schamlosen "Vorführen" der Patientinnen vor Publikum natürlich sehr beklemmend, aber ich fand, dass es sich noch in einem erträglichen Rahmen gehalten hat - aber das mag je nach Gemüt anders aufgefasst werden.
Da ich schon einiges zu dem Thema gelesen habe und die Erinnerung an die Serie "Penny Dreadful" noch frisch im Gedächtnis habe, hat mich das jetzt nicht so sehr mitgenommen, wie vielleicht manchen anderen Leser.
Aber es geht natürlich zu dieser Zeit am Ende des 19. Jahrhunderts im Bereich der neurologischen Medizin schon sehr heftig zu: Isolation, Fixierung, Unterwerfung, Zwangsernährung, Zurschaustellung ... und alles in einer so demütigenden, gleichgültigen und grausamen Art und Weise, die wohl niemanden völlig kalt lässt.
Vera Buck erzählt aus mehreren Perspektiven und springt dabei auch zwischen verschiedenen Handlungsssträngen hin und her. Dadurch hat man von dem "Klinikalltag" auch mal Verschnaufpausen und erfährt so nach und nach, wie alles zusammenhängt.
Runa, das Mädchen, dass mehr oder weniger der Auslöser für die Ereignisse ist, kommt relativ spät ins Spiel.
Im ersten Drittel lernt man zunächst die anderen Personen kennen, allen voran Jori, Johann Richard Hell, den ewigen Assistenten, der endlich seinen Doktortitel machen will. Er hat eine bedrückende Vorgeschichte, die mir seinen Charakter etwas unsympathisch gemacht hat. Er entflieht unliebsamen Situationen und kriegt auch seinen Hintern nicht hoch, um etwas dagegen zu tun. Lieber verkriecht er sich und beruhigt sein Gewissen, indem er irgendetwas tut, was zumindest den Anschein hat, seine Probleme auf die Reihe zu kriegen. Aber es war schön zu beobachten, wie er lernt, das was er vorgesetzt bekommt auch mal zu hinterfragen und endlich aus seinem Schneckenhaus herauszukommen!
Ledoq dagegen war mir von Anfang an sympathisch. Nicht unbedingt durch seinen Charakter, aber durch seine Originalität! Er ist ein ehemaliger Ermittler und mittlerweile auf dem kriminalistischen Sektor tätig, entdeckt eine Spur, die ihn nicht mehr loslässt. Sie führt ihn - wenn auch auf Umwegen - zu den mysteriösen Geheimnissen, die hinter dem Mädchen Runa stecken.
Außerdem gibt es noch zwei neugierige Kinder, nach Macht und Einfluss strebende Ärzte und einen Jungen, der Gedichte schreibt. Sie alle sind in die Geschehnisse verwickelt und führen mich als Leser langsam aber sicher auf eine Entdeckung zu, die tief in die menschlichen Abgründe blicken lässt. Und alles unter dem Deckmantel der Wissenschaft!
Langsam, ja es geht schon etwas behäbig voran, aber das hat mich hier nicht gestört. Es werden ja einige Nebenschauplätze außerhalb der Klinik mit eingeführt und die vielen Einzelschicksale mit großer Rafinesse erzählt, so dass Langeweile gar nicht aufkommen kann.
Der teils schon nüchterne, dennoch aber anschauliche Schreibstil zeigt mir als Leser sehr deutlich die beklemmende Atmosphäre, die damals geherrscht hat. Teilweise auf den Straßen, in den Köpfen der Menschen, aber vor allem in der "Salpêtriére", dem neurologischen Zentrum von Paris und laut Dr. Charcot ein "lebendiges, pathologisches Museum". Man mag sich gar nicht vorstellen, wie sehr die Patienten, diese hilflosen kranken Menschen, gelitten haben und durch die grausame Behandlung und Medikation noch tiefer in einen verstörenden Zustand versetzt wurden, aus dem es keinen Ausweg mehr gab. Man kann wirklich von Glück sagen, dass sich das geändert hat!
Wenn man sich vor Augen führt, wie gut die Autorin hier recherchiert hat und sich an damals lebenden Personen wie Ärzten und Fachmaterial orientiert hat, wirkt die Geschichte noch grauenvoller, auch wenn Vera Buck betont, sie als fiktives "Hirngespinst" zu sehen. Ein trauriger und bedrückender Ausschnitt aus der damaligen Medizin und Menschen, die für Macht und Ansehen jeglichen Respekt, Mitgefühl und Würde vermissen lassen.
Der teils schon nüchterne, dennoch aber anschauliche Schreibstil zeigt mir als Leser sehr deutlich die beklemmende Atmosphäre, die damals geherrscht hat. Teilweise auf den Straßen, in den Köpfen der Menschen, aber vor allem in der "Salpêtriére", dem neurologischen Zentrum von Paris und laut Dr. Charcot ein "lebendiges, pathologisches Museum". Man mag sich gar nicht vorstellen, wie sehr die Patienten, diese hilflosen kranken Menschen, gelitten haben und durch die grausame Behandlung und Medikation noch tiefer in einen verstörenden Zustand versetzt wurden, aus dem es keinen Ausweg mehr gab. Man kann wirklich von Glück sagen, dass sich das geändert hat!
Zitat
"Die Furcht beginnt da, wo wir unwissend und hilflos sind -
und erst an diesem Punkt sind wir bereit, uns voll und ganz
in die Hände eines anderen zu begeben, der uns wissender erscheint, mächtiger.
Deswegen hat die Religion jahrhundertelang funktioniert, mein Junge."
S. 144
Fazit
Wenn man sich vor Augen führt, wie gut die Autorin hier recherchiert hat und sich an damals lebenden Personen wie Ärzten und Fachmaterial orientiert hat, wirkt die Geschichte noch grauenvoller, auch wenn Vera Buck betont, sie als fiktives "Hirngespinst" zu sehen. Ein trauriger und bedrückender Ausschnitt aus der damaligen Medizin und Menschen, die für Macht und Ansehen jeglichen Respekt, Mitgefühl und Würde vermissen lassen.
Bewertung
© Aleshanee
Ebenfalls rezensiert von
Über die Autorin: Vera Buck, geboren 1986, studierte Journalistik in Hannover und Scriptwriting auf Hawaii. Während des Studiums schrieb sie Texte für Radio, Fernsehen und Zeitschriften, später Kurzgeschichten für Anthologien und Literaturzeitschriften. Nach Stationen an Universitäten in Frankreich, Spanien und Italien lebt und arbeitet Vera Buck heute in Zürich.
Quelle: Limes Verlag
Huhu Alex =)
AntwortenLöschenEine schöne Rezi! Das Buch habe ich noch bei Skoobe in meiner Merkliste und ich sollte es wohl unbedingt demnächst in Angriff nehmen. Klingt zwar erschreckend, aber genau deshalb auch interessant.
Ich bin gespannt!
Ganz liebe Grüße
Katie
Die Atmosphäre in dem Buch ist wirklich nicht ohne, und zieht einen regelrecht in diese Zeit und vor allem in dieses brutale und richtig Gefühlskalte Milieu. Aber genau das macht das Buch auch aus und gibt einen fast schon morbid faszinierenden Einblick in diese Zeit ^^
LöschenHallo :)
AntwortenLöschendas Buch steht schon seit es erschienen ist auf meiner Wunschliste <3 Da ich ja selbst Psychologin bin, ist das irgendwie ein Must-Have :D Auch wenn ich bisher nur Gutes über das Buch gehört habe, schreckt mich irgendwie die dicke ab..
Liebe Grüße
Meiky
Oh ja, da werden dir dann sicher die Haare zu Berge stehen, was damals alles "verbrochen" worden ist! Da kann man wirklich von Glück sagen, dass sich das geändert hat!
LöschenHallo Aleshanee,
AntwortenLöschenich freue mich sehr, dass es dir auch so gut gefallen hat. Stimmt, es geht etwas behäbig voran, aber das gefällt mir bei historischen Romanen recht gut, weil man dadurch ein Gefühl für die damalige Atmosphäre bekommt.
Liebe Grüße,
Nicole
Hm, also für mich könnte das ruhig auch einen Tick schneller gehen. Bei manchen historischen Romanen funktioniert das auch und ich bin trotzdem total "in dieser Zeit" drin ;) Aber hier hats halt auch gepasst von der ganzen Geschichte bzw. dem Rhythmus der Erzählweise her.
LöschenHuhu ^^
AntwortenLöschenfreut mich sehr, dass es dir auch so gut gefallen hat (yeah, gleiche Bewertung!). Die Recherchearbeit der Autorin ist auch wirklich beeindruckend und die Atmosphäre eine ganz besondere in dem Buch. Sehr schöne Rezi, wogegen meine wohl ein wenig erblasst ^^'. Aber trotzdem natürlich vielen Dank fürs Verlinken ♥ ;D.
Liebe Grüße
Insi Eule
Ach nö, deine Rezis sind doch immer super auf den Punkt und so schön beschrieben! Nicht dein Licht unter den Scheffel stellen ;)
LöschenIst schon gruselig wenn man sich vor Augen führt, dass das alles ja tatsächlich so (in etwa) geschehen ist, also zumindest die ganzen neurologischen Sachen - in Buchform komme ich mit sowas aber meist ganz gut klar.
Als ich die Serie (Penny Dreadful) letztens angeschaut hab, da waren schon einige Folgen dabei, da ist mir auch ganz anders geworden. Da ging es einer Person ähnlich mit Irrenanstalt und so einer Behandlung. das war für mich auch sehr heftig!
Das ist eben dann doch der Unterschied, ob man es bildlich vor den Latz geknallt bekommt oder sich beim Lesen nur soviel vorstellt, wie man einigermaßen verkraften kann. Ich kann das da immer ganz gut von mir fernhalten.