Sonntag, 20. April 2014

Rezension: Die unterirdische Sonne von Friedrich Ani


Genre: Jugendbuch
empfohlen ab 16 Jahren

Verlag: cbt
Seitenzahl: 336
Hardcover: 16,99 €
ebook: 13,99 €

1. Auflage: Feb 2014









"Am Rand der Nacht, in der Stille der Nacht allein. Kein Stern, keine Stimme. 
Verlassen von den Menschen und von Gott." S. 128

Klappentext

Eine Insel. Ein Haus. Ein Keller. Fünf Jugendliche, die mit Gewalt darin festgehalten werden. Kein Tageslicht. Und täglich wird einer von ihnen nach oben geholt. Doch niemand spricht über das, was dort geschieht. Denn wer spricht, stirbt, bekommen sie gesagt. Die Lage scheint aussichtlos, und Angst, Wut, Schmerz, Verzweiflung und Sehnsucht lassen die Jugendlichen beinahe verrückt werden. Doch nichts kann sie retten vor den schrecklichen Dingen, die geschehen. Bis ein neuer Junge zu ihnen gebracht wird, der nicht bereit ist, die Gewalt zu akzeptieren.

Meine Meinung
 
"Am Rand der Nacht, in der Stille der Nacht allein. Kein Stern, keine Stimme. 
Verlassen von den Menschen und von Gott." S. 128


So fühlen sich die fünf Jugendlichen, die aus ihrem Leben gerissen wurden und ihr Dasein in Schmerz und Einsamkeit fristen müssen.
Conrad, 16 Jahre alt, Sophia, 14 Jahre alt, Maren, 13 Jahre alt, Leon, 12 Jahre alt und Eike, 11 Jahre alt.

So unterschiedlich sie auch sind, verbindet sie alle das gleiche Schicksal, die gleiche Demütigung.

Als ich das Cover und den Titel gesehen habe, dachte ich, dass da etwas gruselig/phantastisches dahintersteckt - statt dessen wurde ich in eine brutale, beklemmende Realität gerissen, die mich manchmal sogar zögern ließ, weiterzulesen. Das Schicksal der fünf Jugendlichen ist vor allem deshalb so bewegend, weil es einer Wahrheit entspricht, die wir uns kaum vorstellen können.

Das Buch ist in drei Akte unterteilt, die ich für mich selbst so betitelt habe
Erster Akt: Die Situation
Zweiter Akt: Die Veränderung
Dritter Akt: Der Zusammenbruch

Der Autor behandelt hier das Thema Kindesentführung und Kindesmissbrauch auf eine sehr subtile Weise. Die Szenerie wird bestimmt durch den Kellerraum, in dem die Figuren eingeschlossen sind. Was "oben" wirklich mit ihnen geschieht, wird nie direkt beschrieben. Durch die Reaktionen der Jugendlichen kann man sich sehr gut vorstellen, was mit ihnen passiert und wenn man sich darauf einlässt, geht das Thema ganz schön unter die Haut - vor allem durch die fast schon sachliche Erzählweise und die vielen Andeutungen, die die Grausamkeit fast noch unerträglicher machen, nimmt man an einer Erfahrung teil, über die man "allgemein nicht spricht".

Die willkürlichen Sprünge zwischen dem aktuellen Geschehen im Keller, den Erinnerungen der Kinder und ihren Träumen haben die Stimmung, die dort herrscht, sehr gut widergespiegelt. Die traumatischen Erlebnisse haben die Kinder an Grenzen gebracht, an die sie sich mit aller Macht klammern um sich nicht selbst zu verlieren. Der Prozeß ist schleichend und der nüchterne Ton der Erzählweise macht das ganze noch beklemmender.
Durch den Schreibstil bin ich den Charakteren nie wirklich nahe gekommen - ob das vom Autor so gewollt war, kann ich nicht beurteilen. Im Vordergrund stehen nicht die grausamen Misshandlungen, die sie durchstehen müssen, sondern ihre Art und Weise, damit umzugehen: mit der Hilflosigkeit, der Verzweiflung und der Angst, die sich in psychischen und Zwangsstörungen Ausdruck verleihen. Wenn man es nicht selbst erlebt hat, kann man es niemals nachvollziehen, welches Grauen Kinder und Jugendliche in solchen Situationen durchmachen müssen.

In Deutschland werden ca. 2000 Kinder vermisst, sind spurlos verschwunden - sich an dieses Thema und die damit verbundenen Möglichkeiten heranzutrauen verdient Respekt. Aber was will der Autor mit dieser Geschichte sagen? Was mitteilen?
Hoffnung ist das erste, das mir dazu eingefallen ist, obwohl sie in der Geschichte nur latent zu erkennen ist. Niemand von uns weiß, wie oft und wie vielen Kindern und Jugendlichen Missbrauch in jeglicher Form geschieht - damit umzugehen scheint aussichtslos. Sich selbst dabei nicht zu verlieren scheint mir das schwierigste zu sein und der Glaube daran, entfliehen und dem ganzen ein Ende setzen zu können. Etwas zu finden, "das Licht in der Dunkelheit", das ihnen hilft, sich nicht aufzugeben, diese Hoffnung ist es, dieser Überlebenswille, der uns stärkt und vorantreibt.
Diese Aussage ist dem Autor gelungen, allerdings hat mir vor allem sein Interview geholfen, das ganze hintergründig zu verstehen - das Buch alleine empfand ich teilweise zu unbestimmt. Hätte ich das Interview vorher gesehen, wäre ich mit einer klareren Einstellung ans Lesen gegangen.



Fazit

Das Thema Kindesentführung und -missbrauch wird in offener und zugleich subtiler Weise veranschaulicht. Erschreckend und verstörend erlebt man ein namenloses Grauen, während man gleichzeitig auf Distanz gehalten wird und erst nach und nach begreift, wie sehr der Glaube an das Licht, das in jedem von uns wohnt, ums Überleben kämpft. Je länger ich über diese Geschichte nachdenke, desto greifbarer wird die Kernaussage.  

Bewertung



© Aleshanee



Über den Autor: Friedrich Ani wurde 1959 geboren und lebt in München. Er schreibt Romane, Gedichte, Jugendbücher, Hörspiele und Drehbücher. Seine Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach prämiert, u.a. mit dem Deutschen Krimipreis, dem Adolf-Grimme-Preis und dem Bayerischen Fernsehpreis. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs.
Quelle: cbt Verlag

6 Kommentare:

  1. Wow, eine wirklich beeindruckende und aufschlussreiche Rezension. Deine Worte haben mich sehr berührt und ich war so mitgerissen, dass ich zunächst gar nicht gemerkt habe, dass du diesem Buch nur 3 Sterne gegeben hast, Aber mich hast du damit dennoch erreicht. Ich glaube ich würde dieses Buch auch gerne lesen. Obwohl ich finde "Gerne lesen" ist immer ein so falscher Satzbau, zumindest wenn es um dein o.g. Thema geht.

    Liebe Grüße <3 Nadine

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    1. Ja, bei den Sternen habe ich zwischen 3 und 4 geschwankt. Mir ist die Aussage, die der Autor machen wollte, leider zu sehr verloren gegangen, deshalb dann doch nur 3 Sterne. Hätte ich schon vorher gewusst, auf was er rauswill, hätte ich es anders gelesen ...

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  2. Eine wirklich schöne Rezension!
    Mich hat das Buch auch sehr betroffen gemacht und vor allem hatte ich irgendwie das Gefühl schuldig zu sein. Macht auf jeden Fall sehr nachdenklich :)

    Ganz liebe Grüße,
    Jasi ♥

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  3. klingt nach einem wirklich harten Buch. Das ist ein wirklich schweres Thema, was in diesem Buch behandelt wird und ich bin mir nicht sicher, ob ich das lesen möchte. Interessant klingt es allemal, vor allem weil es einfach nicht so oft niedergeschrieben wird.

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  4. @ Camille: Der Vorteil daran, wenn man ein Buch liest, ist doch, dass man es zwischendurch aus der Hand legen und notfalls auch mal eine Nacht drüber schlafen kann. Es ist wirklich ein aktuelles und spannendes Thema und der Autor hat es gut umgesetzt. Trau dich es zu lesen!

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  5. Das klingt richtig interessant, und trotz der "nur" 3 Sterne habe ich jetzt wieder richtig Lust drauf, es zu lesen - ich bin da schon länger drumrum geschlichen.

    Tolle Rezi!

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