Das Jahr 2643
Der Neptunmond Athos ist zum Schauplatz eines unerklärlichen Verbrechens
geworden. Die lebenserhaltende KI des Klosters steht im Verdacht, gemordet zu
haben.
Inquisitor Rüd Kartheiser, ein Spezialist im Verhören künstlicher
Intelligenzen, wird mit dem Fall beauftragt. Zusammen mit seiner attraktiven
holografischen Assistentin Zack, die ihm durch eine Reihe von
Sicherheitsbeschränkungen absolut ergeben ist, erreicht er den kleinen,
zerklüfteten Mond. Doch die Ermittlungen der beiden treffen auf
Widerstand.
Während Zacks anziehende Erscheinung bei den Mönchen Anstoß erregt, entpuppt
sich die KI des Klosters als gerissene Taktikerin, die ihr Handeln geschickt
verschleiert. [Spoiler ausgelassen]
Athos 2643 von Nils Westerboer
Genre Science Fiction Krimi / Thriller
Verlag Klett-Cotta / Hobbit Presse --- Seitenzahl 432
1. Auflage Februar 2022
Vielleicht ist das die Fähigkeit der Menschen: etwas zu sehen, das nicht da ist. Einfach, weil sie es wollen.Zitat Pos 2846
Meine Meinung
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Ich muss gestehen, dass ich hier etwas völlig anderes erwartet hatte: Ein Mord
in einem abgelegenen Kloster hat sich für mich ein bisschen wie "Der Name der
Rose" angehört - nur eben versetzt in die Zukunft, ins Jahr 2643.
Die Menschheit ist zu dieser Zeit auf andere Planeten ausgewichen, da wohl ein
Leben auf der Erde nicht mehr möglich war. Erst auf den Mond, dann auch auf
den Neptun, wo auch der Start der Geschichte beginnt. Im Ort Kütahya. Etwas
seltsam fand ich den türkischen Bezug, den der Autor herstellt und bekannte
Begriffe wie Ramadan, Burka, halal, Moschee etc einfließen lässt, wodurch das
Gefühl entsteht, dass die Gesellschaft noch immer aufgrund ihrer Herkunft
sortiert ist.
Auch der kleine Neptun-Mond Athos, zu dem die Reise geht, scheint von Schweden
zum Bergbau benutzt worden zu sein. Ich konnte das nicht so ganz in
Zusammenhang bringen mit einer doch fernen Zukunft, in der alle Menschen eigentlich eine
Einheit bilden sollten bzw. keine offensichtliche Herkunft aus den Ländern der Erde mehr hergeleitet wird. Aber zumindest war es mal nicht "amerikanisch" und eine interessante Abwechslung.
Erzählt wird die Geschichte von einer KI (künstlichen Intelligenz). Sie zeigt
sich als Projektion und unterstützt den Para-Rüd Kartheiser in seiner Funktion
als Inquisitor. Dieser kann die KI mithilfe eines Emitters jederzeit an- oder
ausschalten und muss sie auch regelmäßig wieder aufladen.
Die Technik ist natürlich weit fortgeschritten und KIs werden überall
eingesetzt. Vor allem, um die lebenserhaltenden Maßnahmen auf den Planeten zu
regeln: Sauerstoff, Temperatur, Druck. Aber auch andere, wichtige
Entscheidungen wurden im Laufe der Zeit an sie übergeben - mit welchen
Konsequenzen, da hat der Autor ein wirklich beeindruckendes Gespinst an Fragen
aufgeworfen. Zum einen philosophischer Natur, aber auch ethischer und
religiöser.
Fragen über Zufall/Schicksal, freie Entscheidungen, Schuldfragen und die
menschliche Fähigkeit, vergessen zu können.
Interessant fand ich auch den Aspekt, durch die Übertragung der Verantwortung
an die Maschinen von einer bewussten Schuld sozusagen befreit zu sein, da man
die Entscheidungen nicht selbst trifft.
"Ohne Freiheit gibt es keine Schuld und ohne Schuld keine Vergebung. Freiheit und Vergebung sind daher eins."Zitat Pos 1767
Rüd bleibt dabei immer etwas außen vor, denn man lernt ihn nur durch die
Dialoge mit der KI kennen, die er "Zack" nennt und ihre Gedanken zu ihm. Sein
Verhältnis zu ihr ist etwas bizarr und so ganz durchblicken konnte ich es
nicht...
Da "Zack" keine Gefühle hat wird alles auch recht nüchtern erzählt. Manche
Infos kommen auch sehr geballt und waren mir insgesamt etwas zuviel von der
Menge her - aber auch mit den vielen Fachbegriffen und sachlichen Elementen.
Manches konnte man sich natürlich zusammenreimen und von einigen
Gedankengängen/Erklärungen war ich sehr fasziniert, aber grade zu Beginn
wusste ich nicht so recht, ob mich die Geschichte packen wird.
Irgendwann war ich dann aber "drin" und hab mich mit dem Stil angefreundet.
Der Mord auf Athos war ja anscheinend eine Tat der MARFA. Dem - einfach gesagt
- Überwachungssystem. Was an sich nicht möglich sein sollte, da diese Systeme
immer auf das Überleben der Menschen ausgelegt sind.
Natürlich gibt es da Knackpunkte, denn was passiert, wenn ein Mensch andere
Leben bedroht? Darf das System diesen für die anderen "opfern"?
"Menschlich" kann die selbstloseste Heldentat sein, genauso aber auch jede Untat aus blinder Rachsucht.Zitat Pos 1628
Athos ist ja ein nur 2 Kilometer langer Felsbrocken, auf dem alle damaligen
Arbeiten zum Bergbau eingestellt wurden und mittlerweile nur noch einige
wenige Mönche leben, sogenannte Cönobiten. Sie überwachen die
Fleischproduktion, die äußerst skurril und befremdlich wirkt.
Der Inquisitor Rüd merkt sehr bald, dass er hier nicht wirklich auf Mithilfe
hoffen kann und die Arbeit bzw. seine Gespräche mit der MARFA gestalten sich
sehr schwierig. Überhaupt seine Aufgabe zu verstehen war für mich lange Zeit
nicht greifbar und wird erst relativ spät für mich verständlich erklärt. Ich
muss aber dazu sagen, dass am Ende des Buches alle Begriffe in einem Glossar
erläutert werden - da ich allerdings das Ebook gelesen habe, hab ich es zu
spät entdeckt.
Es war jedenfalls alles sehr rätselhaft und auch das Geheimnis, das auf Athos
gehütet wird, kommt nur langsam ans Licht. Die Aufklärung bzw. das Ende hätte
für mich noch etwas dramatischer sein können. Wobei ich nicht weiß, ob ich
wirklich alles verstanden habe, worauf der Autor hinauswill oder ob er
tatsächlich eine Antwort weitergeben - oder die vielen Fragen für die Leser
offenhalten wollte. Es wurde etwas wirr und dadurch für mich nicht zu durchschauen.
Ich denke immer wieder daran, dass er das Vergessen als eine menschliche
Fähigkeit beschreibt, die uns explizit von Maschinen unterscheidet. Darüber
hab ich noch nie nachgedacht. Durch das absolute Gedächtnis reagieren
Maschinen mit fester Gewissheit aller Berechnungen die bestmögliche
Entscheidung zu treffen. Das sieht bei uns Menschen ja anders aus, denn unsere
Erinnerungen sind schwammig, verdrängt, glorifiziert, nicht zuverlässig - und
durchtränkt natürlich von unserem Willen. Unseren Wünschen und Hoffnungen, was
wir damit erzielen wollen.
Entscheiden braucht Vergessen. Solange ich alles weiß, was ich wissen kann, sind meine Entscheidungen keine Entscheidungen, sondern Folgerungen. Kann ich vergessen, tappe ich, wie die Menschen in einer Dämmerung zwischen hell und dunkel, [...]Zitat Pos 4931
Insgesamt ein sehr anspruchsvolles Buch, das für Fans des Genres sicher etwas
leichter zu lesen ist. Ich fand es teilweise zu gespickt mit Informationen und
Fachausdrücken, konnte mich aber nach Startschwierigkeiten von der Geschichte
mitreißen lassen. Ein eindrucksvoller Entwurf dieser Zukunft, interessante
Charaktere und vor allem die Faszination der aufgeworfenen Fragen haben mich
sehr beeindruckt! Das ganze Konstrukt ist schon ziemlich genial verfädelt - für mich einfach nur schade, dass ich vieles nicht verstanden hab... jedenfalls nichts, was man einfach so nebenher liest.
Meine Bewertung
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Vielen Dank an netgalley und den Verlag für das Rezensionsexemplar.
Es gab diesbezüglich keinerlei Vorgaben und die Rezension
spiegelt meine ganz persönliche Meinung wider.
Hi Aleshanee,
AntwortenLöschenhier ist sie also ;) Du bist ein wenig gnädiger mit dem Buch umgegangen (oder bin ich mit ihm zu streng ins Gericht gezogen?). Tatsächlich hatte ich weniger Probleme mit den Fachbegriffen, aber grad im eBook hätte man eher auf ein Glossar eingehen können, weil dann die Begriffe verlinkt hätten werden können.
So oder so kein Buch, das man nebenher lesen kann, stimmt.
Viele Grüße
Frank
Ich fand es teilweise wirklich anstrengend, war aber dann doch irgendwie fasziniert, der Autor hat mich halt dann doch packen können ;)
LöschenVor allem die kleinen philosophischen Hinterfragen, ich mag sowas sehr gerne und da hatte er ja doch einiges auf Lager.
Etwas schade dass es am Ende so etwas aus dem Ruder gelaufen ist...
Ja, das stimmt. Ich fand auch die Erzählweise aus Sicht der KI sehr gut, nur eben auch hier am Ende etwas verwirrend ...
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