Samstag, 12. Februar 2022

Eine ganz dumme Idee von Fredrik Backman

 


Eine ganz dumme Idee von Fredrik Backman

 
Genre Gegenwartsliteratur
Im Original  Folk med ångest
 
Verlag Goldmann --- Seitenzahl 464
1. Auflage September 2021


 
 
 
 
Klappentext
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Eine Kleinstadt in Schweden, kurz vor dem Jahreswechsel: An einem grauen Tag findet sich eine Gruppe von Fremden zu einer Wohnungsbesichtigung zusammen. Sie alle stehen an einem Wendepunkt, sie alle wollen einen Neuanfang wagen. Doch dieser Neuanfang verläuft turbulenter als gedacht. Denn wegen der ziemlich dummen Idee eines stümperhaften Bankräubers werden auf einmal alle Beteiligt»en zu Geiseln. Auch wenn davon niemand überraschter ist als der Geiselnehmer selbst. Es folgt ein Tag voller verrückter Wendungen und ungeahnter Ereignisse, der die Pläne aller auf den Kopf stellt – und ihnen zeigt, was wirklich wichtig im Leben ist … 
 
 
Meine Meinung
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Ich hab hier eher eine lustige Geschichte erwartet - zwar gespickt mit einigen philosophischen Botschaften, wie ich es aus "Ein Mann namens Ove" gewöhnt bin, aber vor allem mit einer skurrilen Verkettung von Ereignissen und amüsanten Lebensgeschichten, die hier mit Tiefe, aber Augenzwinkern erzählt werden.
 
Einerseits, ja, war es das.
Schon auf den ersten Seiten hat mich der witzig, leichte Stil eingefangen, der über den missglückten Bankraub und die Geiselnahme berichtet und wie das Verhör bei der Polizei nach dem ganzen Drama abläuft. 
 
Erzählt wird nämlich in zwei bzw drei Zeitebenen. Zum einen das, was danach passiert: die Geiseln sind frei, werden verhört, um das Geschehene rekonstruieren zu können und dabei lernen wir die beiden Polizeibeamten kennen: Jim und Jack. Der eine ist schon etwas älter, erfahrener und hat einen gewissen Beschützerinstikt entwickelt zu Jack - einem noch recht jungen Kollegen, der auf seine eigene Art an die Sache herangehen will.
 
Zum anderen lernen wir durch die Dialoge in den Verhören die Geiseln kennen. Ein bunt gemischter Haufen an Menschen, die sich alle zufällig bei der Wohnungsbesichtigung getroffen haben, in die der Bankräuber auf seiner Flucht hineingeplatz ist. 
Und außerdem werden nach und nach diese Personen beleuchtet, Momente aus ihrer Vergangenheit, aber auch die Beziehungen untereinander in der Gegenwart, ihre Gefühlswelt - ihre Ängste, ihre Hoffnungen, ihre Träume. 
 
Das alles hängt mit einer Brücke zusammen. Und da wären wir an einem Punkt, der einen Schatten wirft auf den Humor, mit dem der Autor die Schwere der Themen etwas auflockern will. Psychische Probleme und Selbstmordgedanken sind hier nämlich immer wieder präsent, womit ich hier gar nicht gerechnet hätte. 
Die Einzelschicksale, die Backman beschreibt, mögen teilweise konstruiert wirken - aber oft ist es ja auch so, dass ein Schlag nach dem anderen folgt und man so in eine Abwärtsspirale trudelt, dass man keinen Ausweg mehr sieht. Doch man sucht ihn sich, das Leben findet seine Hintertürchen, seine Verstecke, seine Mauern - aber hier können wir hinter die Fassaden schauen. 
 
Sie war der Überzeugung, dass man freundlich zu seinen Mitmenschen sein muss, auch zu den unangenehmen, weil man nie weiß, welch schwere Last sie tragen.
Zitat Seite 144

Wir erleben mit unseren Mitmenschen viele Momentaufnahmen, aber vieles bleibt auch verborgen und während jeder versucht, gutes zu tun und seinen Prinzipien gerecht zu werden, gibt es immer wieder Ereignisse, die uns völlig aus der Bahn werfen können. 

Es geht um Einsamkeit, Verlorenheit, Unsicherheit und Hilflosigkeit - aber auch Mitgefühl, Akzeptanz und die Chance auf eine Zukunft, ein Licht am Ende des Tunnels, wenn man genauer hinschaut, genauer zuhört und selbst verzweifelte Entscheidungen oder "dumme Ideen" einen Weg ebnen, den man vorher gar nicht wahrgenommen hat. 

Jede der Personen wird sehr gut beleuchtet, die eine mehr, der andere weniger, aber man bekommt ein ziemlich gutes Bild und ich hab mit einigen von ihnen sehr mitgelitten. 
Während die Dialoge bei den Verhören mich nicht so angesprochen haben, war alles andere ein Sammelsurium an Botschaften, die die vielen Fehleinschätzungen und Vorurteile aufzeigen, die Menschen gegenüber anderen Menschen entwickeln, ob bewusst oder unbewusst. Ich musste manches erstmal etwas sacken lassen, da mir hier vieles recht nahe ging. Am Ende sind sogar Tränen geflossen, was mir beim Lesen wirklich selten passiert und mich hat schon lange kein Buch mehr emotional so mitgenommen. Ich lese sowas auch eher ungerne, hab aber hier - wie gesagt - gar nicht damit gerechnet. 

Ein für mich äußerst aufwühlendes Buch, dass mich aber auch zum Schmunzeln, zum Nachdenken und zum Lachen gebracht hat und das sicher noch einige Zeit nachklingen wird. 
 
So viele Menschen hadern mit den Steinen, die ihnen in den Weg gelegt werden und bauen damit Mauern, um sich zu schützen, statt einen Weg, der sie mit anderen zusammenbringt. 

Zum Abschluss noch ein paar Zitate, die ich mir notiert habe:
 
Die Wahrheit lautet natürlich, dass die Menschen nicht so wahnsinnig oft im Internet unterwegs wären, wenn sie tatsächlich so glücklich wären, wie sie uns in den sozialen Medien erscheinen, denn kein Mensch, der einen superschönen Tag verlebt, verplempert die Hälfte der Zeit damit, Selfies zu schießen.
Zitat Seite 84
"Wir streiten uns viel über Politik, Roger und ich, da wir in dieser Sache äußerst unterschiedlicher Meinung sind, aber man kann... ich denke, dass man sich trotzdem einig sein kann, auch wenn man nicht derselben Meinung ist, verstehen Sie? ..."
Zitat Seite 239
Das folgende mag ich besonders, da Sicherheit oder das Gefühl von Kontrolle, eine Illusion ist. Es gibt keine Kontrolle über das, was passiert - natürlich kann man es lenken, kann Entscheidungen treffen, auf sich acht geben und andere beschützen etc. aber man muss auch wieder lernen, zu leben und Freude zuzulassen, ohne die ständige Sorge im Hinterkopf, die jeden schönen Moment schon im Vorfeld erstickt und die spontanen, impulsiven Augenblicke gar nicht mehr möglich werden lässt. Dabei sind es meistens die, die man im Gedächtnis und Herzen behält:
"Schiffe im Hafen sind sicher, mein Junge, aber dafür sind Schiffe nicht gebaut."
Zitat Seite 284
Und auch das letzte Zitat ist ein schöner Spruch für all die Unsicherheit, die uns bei den täglichen Entscheidungen begleitet und die unseren Alltag zupflastern mit unendlich vielen Möglichkeiten und dem ständigen Abwägen zwischen "richtig" und "falsch", dem Zweifel, der an uns nagt und uns dabei alles offenlässt und jede Chance bietet:
"Etwas nicht zu wissen ist ein guter Ausgangspunkt."
Zitat Seite 434
 
 
 Meine Bewertung
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Ebenfalls rezensiert von
 
 
 
Verfilmt auf Netflix als Miniserie mit 6 Folgen
unter dem Titel "Menschen in Angst"
 
 
 
 
Ebenfalls ein tolles Buch des Autors: Ein Mann namens Ove
 
Haben Sie auch einen Nachbarn wie Ove? Jeden Morgen macht er seine Kontrollrunde und schreibt Falschparker auf. Aber hinter seinem Gegrummel verbergen sich ein großes Herz und eine berührende Geschichte. Seit Oves geliebte Frau Sonja gestorben ist und man ihn vorzeitig in Rente geschickt hat, sieht er keinen Sinn mehr im Leben und trifft praktische Vorbereitungen zum Sterben. Doch dann zieht im Reihenhaus nebenan eine junge Familie ein, die als Erstes mal Oves Briefkasten umnietet …

10 Kommentare:

  1. Liebe Aleshanee,
    oh, du hast 5 Sterne gegeben! Gerade vorhin habe ich eine Hörbuch-Besprechung zum Buch auf YouTube gehört und irgendwie wird hier nur der Humor besprochen. Das hat mich etwas verwirrt, da ich doch shcon einige Rezensionen gelesen habe, wo eben das Tiefgründige durchkommt. Das mochte ich ja ganz besonders bei "Stadt der großen Träume", das ich großartig fand. Nach deiner Rezension bleibt das Buch jetzt auf jeden Fall auf meiner Wunschliste, auch wenn nicht alle Bücher des Autors etwas für mich sind (Ich habe zum Beispiel "Oma lässt grüßen und..." abgebrochen).

    Liebe Grüße
    Martina

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    1. Also der Humor dringt natürlich immer wieder durch, aber wie man hier das "tiefgründige" außen vor lassen kann verstehe ich nicht so ganz. Das war sehr essenziell, zumindest in meinem Lesegefühl. Das ging sogar sehr tief und hat mich tagelang nicht losgelassen...

      "Oma lässt grüßen..." hab ich ja nur die ersten paar Seiten gelesen. Und auch abgebrochen. Da ich hier aber gemerkt habe, dass es doch im Laufe der Seiten sich entwickeln kann, werde ich es mit der Oma vielleicht doch nochmal versuchen.

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  2. Hallo liebe Aleshanee,

    Ove war ein Buch, das ich damals geliebt habe. Von F. Backman wollte ich daher schon seit langem ein weiteres Buch lesen.
    Auf deine Rezension zu "Eine ganz dumme Idee", war ich daher schon sehr gespannt.

    Ich hätte auch nie gedacht, dass dieses Buch Themen wie psychische Probleme und auch Selbstmordgedanken aufgreifen könnte. Deine Rezension hat mir gerade sehr geholfen dieses Buch einzuordnen und einen besseren Einblick zu erhalten, was einen in dieser Geschichte so alles erwartet.

    Du hast mich eigentlich schon mit der Inhaltsangabe gekriegt. Als du dann noch die "schweren Themen" angesprochen hast, ist meine Neugierde weitergewachsen. Dass du dann sogar ein paar Tränchen vergossen hast, zeigt, dass der Autor es geschafft hat, dich mit seinem Buch zu berühren.

    Deine Zitate zeigen, dass in dem Buch viele tiefgründige Themen aufgegriffen und Lebensweisheiten vermittelt werden.

    Das ist aber sowas von ein Buch für mich. Das kommt auf die Wunschliste! Vielen Dank für diese detail- und hilfereiche Rezension! <3

    Ich wünsche dir ein schönes und entspanntes Wochenende.

    Ganz liebe Grüße
    Tanja

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    1. Ove fand ich auch ganz toll - danach hatte ich ja "Oma lässt grüßen..." in der Hand, aber nach dem ersten reinlesen hatte ich das Gefühl, dass das so gar nicht meins ist.

      Danach war ich unschlüssig ob ich überhaupt noch eins von ihm lesen soll und dann kam überraschend das hier bei mir an - danke Sabine <3 - und das hat mich wirklich sehr überrascht! Das lässt mich sicher auch länger nicht los.

      Gestern hab ich in einem Kommentar gesehen, dass Netflix es in einer Miniserie verfilmt hat, die werde ich mir heute mal anschauen :)

      Ich wünsch dir auch noch ein schönes Restwochenende!

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    2. Hallo liebe Aleshanee,

      stimmt. Die Oma gab es auch noch. Ich meine, dass ich dazu auch ein paar kritische Stimmen vernommen habe.

      Was?! Das ist ja genial. Ich habe das gleich mal kurz gegoogelt. Die Serie heißt anders, habe ich gerade gesehen (Menschen in Angst). Ich bin mir gerade noch nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, erst die Serie anzuschauen oder doch besser vorweg das Buch zu lesen. Das muss ich mir noch überlegen. Aber die wandert heute auf jeden Fall gleich mal auf die Watchlist. Danke für den Hinweis :o)))

      Ich wünsche dir einen schönen und entspannten Sonntag :o)

      Liebe Grüße
      Tanja

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    3. Ich hab in die Serie schon reingeschaut: ich würde zuerst das Buch lesen ;)

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  3. Ich versuche mein Glück für das 10.Buch.

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  4. Buch Nr. 10 ist mit diesem Zitat verknüpft.

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  5. *seufz* .... und hier steht Lostopf 10, ich kann einfach nicht widerstehen.
    Nu ist aber gut - aber das hört sich so gut an <3
    Uuund davon mal ab, das Buch hier steht auch schon auf meiner WuLi. :)
    Deine Rezi hört sich toll an. Ove ist eh schon mein Liebling und da möchste ich "Eine ganz dumme Idee" auch noch unbedigt lesen.

    Liebe Grüße!

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  6. Hallo Aleshanee, :)
    aus diesem Buch stammt also das mehr als wahre Zitat. Denn man weiß ja nie, was in den Leben der Menschen vorgeht, weshalb sie sich gerade unangenehm benehmen.

    Das Buch klingt auch nach einem sehr verrückt-humorvollen Buch. Dass es dann doch so tiefgründe, harte Themen behandelt, klingt nach einer interessanten Mischung.

    Du hast übrigens auch einen schönen Satz in der Rezension: „So viele Menschen hadern mit den Steinen, die ihnen in den Weg gelegt werden und bauen damit Mauern, um sich zu schützen, statt einen Weg, der sie mit anderen zusammenbringt.“ Großartig formuliert!

    Tatsächlich habe ich auch „Ein Mann namens Ove“ nicht gelesen, kenne es aber vom Sehen. Ich sollte dem Autoren definitiv mal eine Chance geben. :)

    Liebe Grüße
    Marina

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