Sonntag, 17. August 2025

Das Lied des Dionysos von Natasha Pulley

Natasha Pulley


Das Lied des Dionysos von Natasha Pulley


Im Original The Hymn to Dionysus
übersetzt von Michael Pfingstl

Verlag Hobbit Presse / Klett-Cotta
Seitenzahl 541
1. Auflage August 2025







Meine Meinung
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Wir erleben diese Geschichte aus der Erzählung des Kriegers Phaidros. Das war zu Beginn etwas ungewöhnlich, weil er aus seiner Vergangenheit berichtet als er grade mal 4-5 Jahre alt war und als Mündel von Helios in der thebanischen Legion seine ersten Lebensjahre verbringt. Zwischen Zeltlager und Kriegsveteranen, Schlachten und brennenden Städten stromert der junge Phaidros und lernt die Welt auf eine sehr makabre Art kennen:

"Werden Leute versuchen, uns in der Nacht zu töten?" Das kam manchmal vor. Es machte mir nichts aus. Meistens durfte ich mich wieder hinlegen, nachdem ich beim Saubermachen geholfen hatte.
Zitat Seite 24

Aber er weiß sich auch sicher und geschützt in den Armen von Helios, der ihn liebt wie einen Sohn. Mit 19 bestreitet er dann endlich seine erste Schlacht - doch das Prinzip der Ehre und jugendlicher Ehrgeiz werden ihm schnell zum Verhängnis.
Jahre später begegnet er schließlich Dionysos wieder, mit dem ihm ein ganz besonderes Erlebnis verbindet.

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Natasha Pulley hat ja eine ganz besondere, eigene und spezielle Art zu schreiben. Ich musste mich auf den ersten Seiten erstmal darauf einlassen, und gerade hier wirkt es eher wie ein Heldenepos mit dem Flair epischer Mythen, das sich eher langsam entfaltet. Man hat das Gefühl, es plätschert so dahin, aber es entwickelte auch einen Sog, dem ich mich nicht entziehen mochte. 
Phaidros Weg, seine Gedanken und Entwicklungen scheinen erstmal nicht wirklich etwas mit den Hintergründen zu tun zu haben - die mir erstmal auch nicht klar waren. Wo will die Geschichte hin? 

Sicher war ich mir, dass hier noch etwas tiefgründiges dahintersteckt und schließlich tauchen auch immer mehr Vorzeichen auf, wer oder was Dionysos und sein Lied eigentlich sein könnten.

"... Wenn wir zu sehr Uhrwerk werden, bringt er das Wilde zurück, um uns daran zu erinnern, was wir sind, und uns vor Schlimmerem zu bewahren."
Zitat Seite 202

Die Darstellung der Krieger, des Gehorsams und der Pflichten, der Bürger und Sklaven in diesem alten Theben funktioniert nach strikten Gesetzen und Rangordnungen, denen sich niemand widersetzt - und wenn dann in der Gewissheit strafender Folgen.
Interessant finde ich, dass bei dem Eid der "Gesäten", also dieser Kriegerkaste, es Pflicht ist, immer die Wahrheit zu sagen. Auch höher gestellten Gegenüber oder auch den Adligen bzw. Herrschern. Dabei immer den Tod vor Augen - denn eine Wahrheit mag zwar gewollt sein, angenehm ist sie deshalb natürlich nicht immer - sagt Phaidros auch wirklich immer was er denkt. 
Anders sieht es mit den Gefühlen aus, die nicht erwünscht sind. Dabei geht er soweit, alles zu verdrehen und es sich so zurecht zu biegen, dass er nur ja nichts an sich heranlassen muss, was ihn verletzen könnte - oder etwas, das ihm gut tun würde. Ihn als geliebten Menschen identifizieren würde! 
Sein geringes Selbstwertgefühl steht ihm immer wieder im Weg - nach außen hin bemerkt man das kaum, weil er sich durchaus schlagfertig zu verteidigen weiß und ein angesehener Krieger ist. 

Ich war immer noch zutiefst überrascht, einen Erwachsenen gefunden zu haben, der gerne scherzte und spielte und sich dabei überhaupt keine Sorgen um seine Würde zu machen schien.
Zitat Seite 229

Die Rahmenhandlung über das ausgetrocknete Theben, die Hungersnöte und den Handel mit den ungeliebten Ägyptern versetzt uns in den passenden Schauplatz. Wieder hat die Autorin einen Krieg integriert und die damit verbundenen Entscheidungen und Entbehrungen.
Der Fokus liegt aber durchgehend auf Phaidros und Dionysos, deren Beziehung zueinander von Konflikten und Missverständnissen getragen wird. Seine Figur hat eine unglaubliche Anziehungskraft und die Verbindungen, die zwischen ihm und Dionysos bestehen, wirken sehr tief nach. 

Die Mythen um die griechischen Götter sind mir nur aus einigen Filmen und Retellings bekannt und ich habe hier einige Namen nachgeschlagen, denn es kommen viele Namen vor, die mit Legenden verwoben sind: 
Semele, die Tochter des Königs Kadmos, des Gründers von Theben
Agaue, ihre Schwester und Mutter des Pentheus
Helios, der Sonnengott
und natürlich Dionysos, der Gott des Weines, der Freude, der Fruchtbarkeit, des Wahnsinns und der Ekstase

Warum Natasha Pulley gerade Dionysos gewählt hat, wird gegen Ende hin klar. Da hab ich lange gerätselt, denn die wenigen Attribute, die man im Internet zu ihm findet, sind mir natürlich bekannt, aber welche Hintergründe sie hier für sein Erscheinen verbindet, fand ich faszinierend in Verbindung mit unserem Leben in der Natur und den Veränderungen, die wir Menschen im Laufe der Jahrtausende durchgemacht haben. Eigentlich hätte mir das eher auffallen müssen, aber ich war wohl einfach zu gebannt von der Geschichte. 

"Die andere Art von Schmerz ist das Unglücklichsein. Ich meine nicht vorübergehende Unzufriedenheit, sondern echtes Unglücklichsein, das anhält. Und ... er hat denselben Grund. Er ist da, damit du aufhörst, die Dinge zu tun, die dich unglücklich machen, weil sie dich sonst eines Tages umbringen werden."
Zitat Seite 367

Wenn man auch manchmal nicht weiß, was genau die Autorin bezweckt oder warum manche Details jetzt erwähnt werden müssen: sie führen uns alle durch ein Labyrinth, symbolisch und im übertragenen Sinn. Sie versteht es perfekt, jede Situation, jedes Gefühl und die Gedanken einander umkreisen zu lassen, uns in die Irre zu führen um dann umso überraschter für einen Moment aufzutauchen aus der Geschichte, während immer mehr klar wird und man sofort weiterlesen möchte.

Wie oben schon erwähnt, ist Pflicht und Ehre ein großes Thema. Das Funktionieren müssen, Gehorchen müssen ohne zu Hinterfragen und daraus Gewalt schließlich zur Normalität wird. Daraus entstehen Muster, aus denen es schwer wird auszubrechen, man hält sich daran fest, denn die ständige Grausamkeit baut eine Mauer, um das wenige Feinfühlige, das noch vorhanden ist, zu schützen. Um diese Mauer zu durchbrechen, bekommen wir hier ein signifikantes Beispiel dafür.
Dadurch, dass die Geschichte ruhig erzählt wird, dringt sie umso tiefgreifender in unsere Köpfe und unsere Gefühlswelt ein, man merkt gar nicht gleich, wie das alles passiert, aber diese Empfindung wird deutlicher, je weiter man kommt. Man ahnt ja schon einiges, aber die klare Feststellung und Erklärung am Ende hat alles Entladen, was sich bis dahin still und leise in mir angestaut hat und zeigte mir wieder, wie genial die Autorin schreiben kann. 

Die Übersetzung ist insgesamt sehr gut gelungen - nur manchmal hab ich den Eindruck, dass Phrasen oder Floskeln nicht so ganz passen. Entsprechend dem Gesamtbild des Stils in Form einer mythischen Legende wirkte manches zu "neu" oder unstimmig. Trotzdem glaube ich, dass der Stil und die Atmosphäre wirklich gut getroffen worden sind. 


Meine Bewertung
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Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.
 Es gab diesbezüglich keinerlei Vorgaben und die Rezension 
spiegelt meine ganz persönliche Meinung wider.



Klappentext
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Der junge Krieger Phaidros rettet in Theben ein ausgesetztes Baby, von dem eine ganz eigenartige Faszination ausgeht. Er bewahrt es vor dem sicheren Tod und bringt es zum Tempel der Artemis, in dem verwaiste Kinder aufgezogen werden. Wer kann schon ahnen, dass mit dem kleinen Jungen unvergleichliches Unheil über ganz Theben, ja über der ganzen Welt aufzieht?

Was hat es mit dem Findlingskind auf sich? Ist es ein Bastard oder vielleicht gar von Zeus gezeugt? Jahre später, Troja ist gefallen und die Soldaten um Phaidros rüsten die Schiffe zur Heimfahrt. Da begegnen sie auf einer Insel einem seltsam schönen Jüngling und nehmen ihn gefangen. Ihm droht nun das Los als Sklave verkauft zu werden – was für ein Frevel! Das Kentern des Schiffs ist erst der Beginn einer verheerenden Rache des gedemütigten Dionysos. Über Theben breitet sich eine nie dagewesene Dürre aus. Aber noch schlimmer: Eine seltsame Macht ergreift Gemüt und Verstand der Menschen, der Wahnsinn geht um. Und doch hängt das Herz von Phaidros an dem Gott, der ihm in vielerlei Gestalt begegnet. Natasha Pulley erzählt so spannend und lebendig von der Antike, als wäre es gestern gewesen.


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