Katabasis, Substantiv, Altgriechisch: Die Geschichte eines Helden, der in
die Unterwelt hinabsteigt.
Alice Law hat ihr ganzes Leben lang nur ein Ziel verfolgt: die Beste auf dem
Feld der Analytischen Magie zu werden. In Cambridge, als Doktorandin des
weltberühmten Professors Jacob Grimes, scheint ihr Traum endlich in Erfüllung
zu gehen. Zumindest, bis Grimes bei einem Unfall stirbt, an dem Alice
möglicherweise nicht ganz unschuldig ist. Kurzerhand beschließt sie, ihrem
Professor in die Hölle zu folgen. Dumm nur, dass ihr Erzrivale Peter Murdoch
dieselbe Idee hat.
Mit den Berichten von Orpheus, Dante und T. S. Eliot im Gepäck brechen die
beiden auf, um die Seele ihres Mentors zu retten - welchen Preis sie dafür
auch zahlen mögen. Doch die Hölle ist nicht so, wie erwartet, und Magie nicht
die Antwort auf alles. Denn Alice und Peter verbindet etwas, das sie entweder
zu perfekten Verbündeten macht oder für ihren Untergang verantwortlich sein
wird.
Katabasis von R. F. Kuang
übersetzt von Alexandra Jordan und Heide Franck
Genre Mythische Dark Fantasy
Verlag Eichborn - Seitenzahl 650 - 1. Auflage August 2025
Eine Höllenfahrt: im wortwörtlichen und übertragenen Sinn,
philosophisch und irrwitzig tragisch
Meine Meinung
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Peter Murdock ist ein liebenswürdiges Genie: immer freundlich, nie herablassend, immer hilfsbereit und niemand, mit dem Alice Law in die Hölle reisen möchte. Doch beide wollen ihren Professor von den Toten zurückholen - ist er doch der einzige, der ihnen bei ihrem Abschluss an Cambridges Institut für Analytische Magie als Doktorvater zur Seite stehen kann.
Sie würden alles opfern, um ihre Professur zu bekommen und Magier zu werden, und natürlich verlangt eine Reise in die Hölle ein Opfer: denn nichts ist umsonst...
Schon mit den ersten Sätzen war ich mitten im Geschehen und hab sofort die Spannungen zwischen Alice und Peter gespürt. Die Autorin verschwendet auch keine Zeit, denn der Abstieg in die Hölle ist direkt der Einstieg in diese aberwitzige Fahrt in die tiefsten Abgründe.
In einigen Rezensionen hab ich gelesen, dass die Beschreibungen als langwierig empfunden wurden - ich kann das für mich so nicht bestätigen. Es gibt ja zahlreiche Werke zur Vorstellung der "Hölle" und die beiden Studenten wissen deshalb nicht, auf was sie sich genau hier einlassen. Auch wenn sie vieles gelesen haben und mit Karten ausgerüstet dort landen, müssen sie sich erstmal orientieren und herausfinden, wie das System der Hölle funktioniert und wie sie aufgebaut ist: und welchen Weg "ihr" Professor wohl gegangen ist.
Alice und Peter haben beide eine ganz eigene Vorstellung, die wir auch im Buch optisch dargestellt bekommen, was ich eine sehr gute Idee fand, da es mit Worten wirklich schwer zu beschreiben ist.
Das Thema Wiedergeburt und Tod ist hier ein sehr starkes Motiv! Welche Höllen / Höfe / Todsünden muss man durchschreiten, um wiedergeboren zu werden - und will man das überhaupt? Welche Sünde wiegt schwerer und ab wann ist es überhaupt als Sünde anzusehen? Gerade die erste Station, der Stolz, der für viele selbstverständlich ist. Doch gibt es da feine Nuancen.
Als nächste Etappe mussten sie die Wollust durchqueren - auch etwas, dem man auf den ersten Blick nichts wirklich sündhaftes nachsagen kann, außer das manche Sex an sich als sündig beschreiben... doch auch hier bündelt sich die Leidenschaft zur Sucht, die einen, einmal erwischt, nie wieder los lässt.
Man gab den Verlockungen nach, die Falle schnappte zu, und am Ende war man die Ursache seines eigenen Leids.Zitat Seite 159
Sehr cool fand ich auch die Verbindung zur Kreide. Damit werden ja meistens die Bannkreise und Pentagramme sowie Symbole gezeichnet, aber warum das so ist, hat hier eine ganz besondere und einleuchtende Bedeutung!
Schön ist, das die Kapitel jeweils mit unterschiedlichen Pentagrammen eingeleitet werden.
Je länger man mit den beiden unterwegs ist, desto näher lernt man sie kennen. Ihre Persönlichkeit, ihre Stärken, ihre Schwächen, ihre Vergangenheit... und auch ihren Bezug zu dem verstorbenen Professor Grimes, den sie unbedingt wieder auferstehen lassen wollen. Dabei scheint es, dass nur der Ehrgeiz sie beide vorantreibt, denn der Prof war alles andere als ein einfacher Mensch. Jegliches Vergnügen oder Bedürfnis wurde versagt, denn nur die Arbeit, die Forschung und die Ergebnisse waren wichtig. Weder Peter noch Alice hatten je das Gefühl, ihm wichtig zu sein oder etwas zu bedeuten. Gerade deshalb war jedes Lob, jede Anerkennung wie ein Gottesgeschenk.
Der springende Punkt war, dass Professor Grimes nicht irgendjemanden gequält hatte. Er hatte sie gequält. Weil sie stark genug waren, um es auszuhalten. Weil sie den Glauben tatsächlich nicht verloren. Weil sie besonders waren, die Mühen wert, weil sie, nachdem er mit ihnen fertig war, zu etwas Erstaunlichem werden würde.Zitat Seite 198
Wie in Babel hat die Autorin hier wieder neben der Universität und damit zusammen hängenden Lernzielen die Sprache zum Thema - Logik, Theorien und vor allem: Widersprüche. Neben der Kreide das zentrale Merkmal der Magie, bei der der Glaube an den Widerspruch einen magischen Effekt erst möglich macht, während man gleichzeitig die tatsächliche Wirklichkeit nicht aus den Augen verlieren darf.
Ein ziemlich ausgefallenes System, das viele Tücken hat, aber, wenn auch nur abstrakt umrissen, eine sehr spannende Idee dahinterstehen hat.
Bei Alice als Name für eine Protagonistin denke ich immer ans Wunderland. Ich kann das nicht ausblenden, das ist einfach so und hier hat die Autorin sicher auch daran gedacht. Alice selbst vergleicht hier ihren Ehrgeiz, die ständige Suche nach Erklärungen und erreichten Zielen mit der Flucht in einen Kaninchenbau. Der Flucht vor dem Gewöhnlichem, dem Alltäglichen, dem instinktbehafteten Menschsein - und will hin zu höheren Sphären, dem Entdecken und Forschen, dem erhabenen Gefühl etwas zu finden, was noch niemand anderem vorher gelungen ist.
Ihren Irrwegen, ob auf der Welt oder in der Hölle, vor allem aber wohl aber in ihrem Kopf, ist manchmal schwer zu folgen. Das zerrissene, geplagte Innere, die Verführung einer Obsession und die opferbereiten Folgen treten hier ganz klar und deutlich hervor - und auch wenn sie vielleicht nicht immer so sympathisch rüberkommt, rührt einen ihre gequälte Seele doch sehr.
Nichts vergessen zu Können würden wir nicht überleben - was die Frage aufwirft, was unser Gedächtnis lebhaft in Erinnerung behält und was es ins Unterbewusste verdrängt, verpackt und aufbewahrt. Schöne Erinnerungen hervorzuholen macht nostalgisch und wiederholt die Freude oder das Glück; aber was ist mit den schlechten Erinnerungen, die Unwohlsein hervorrufen, psychischen oder gar körperlichen Schmerz und uns plagen und peinigen? Wäre es nicht besser, diese komplett löschen zu können? Aber sind wir dann noch die gleiche Person? Verlieren wir dadurch auch alles, was wir aus diesen Erfahrungen gelernt haben? Neigen wir dann dazu, "Fehler" oder ungute Entscheidungen vielleicht sogar zu wiederholen?
Es tauchen hier wirklich eine Menge philosophischer Fragen auf und am liebsten würde ich auf alle eingehen ... aber das sprengt dann doch den Rahmen ^^ Eins ist mir allerdings noch wichtig: die vielen Höfe in der Hölle, diese Sinnbilder der Sünden, der Verführungen, der "niederen Triebe" - sie alle führen weg von dem Moment, an dem wir gerade sind. Sie alle zielen auf ein Verlangen, (ein Ziel zu haben ist an sich nichts schlechtes) bei dem man aber das Jetzt aus den Augen verliert. Den Moment der Gegenwart, den man genießen und wahrnehmen kann und der alles ist, was zählt. Denn die Vergangenheit besteht aus genau diesen einzelnen Momenten, wie auch unsere Zukunft.
Neben dem Weg durch die Hölle gibt es auch immer wieder Rückblicke auf das Leben am Campus. Hier werden (leider immer noch) aktuelle Themen mit eingeflochten wie Diskriminierung, sexuelle Übergriffe, Hilflosigkeit, Verzweiflung und auch Suizidgedanken. Ein verworrenes Geflecht aus Demütigung und Ehrgeiz, Unterwerfung und Überheblichkeit; immer im Bestreben das selbst auferlegte Ziel zu erreichen, ohne das das Leben nicht sinnvoll erscheint. Dabei geht die Autorin tief in die Psyche, vor allem mit viel Ehrlichkeit und ohne Scham, mit Vorurteilen und Gedanken die uns Menschen immer wieder beschäftigen und deren Konsequenzen immer wieder die Frage nach dem Warum stellen.
Ihr merkt, es ist nicht actionreich und ich würde es auch nicht als abenteuerlich bezeichnen - eher eine düstere Reise in einen Abgrund, ruhig, aber intensiv, was sich schleichend einnistet und festsetzt: und einen nicht mehr loslässt.
Meine Bewertung
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Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.
Es gab diesbezüglich keinerlei Vorgaben und die Rezension
spiegelt meine ganz persönliche Meinung wider.
Ebenfalls von der Autorin gelesen:
➤ Babel
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