Montag, 4. März 2024

Yellowface von R. F. Kuang

June Hayward und Athena Liu könnten beide aufstrebende Stars der Literaturszene sein. Doch während die chinesisch-amerikanische Autorin Athena für ihre Romane gefeiert wird, fristet June ein Dasein im Abseits. Niemand interessiert sich für Geschichten "ganz normaler" weißer Mädchen, so sieht es June zumindest.

Als June Zeugin wird, wie Athena bei einem Unfall stirbt, stiehlt sie im Affekt Athenas neuestes, gerade vollendetes Manuskript, einen Roman über die Heldentaten chinesischer Arbeiter während des Ersten Weltkriegs.

June überarbeitet das Werk und veröffentlicht es unter ihrem neuen Künstlernamen Juniper Song. Denn verdient es dieses Stück Geschichte nicht, erzählt zu werden, und zwar egal von wem? Aber nun muss June ihr Geheimnis hüten. Und herausfinden, wie weit sie dafür gehen will.




Yellowface von Rebecca F. Kuang


Im Original Yellowface --- übersetzt von Jasmin Humburg
Genre Spannungsroman

Verlag Eichborn --- Seitenzahl 383 --- 1. Auflage Februar 2024




Meine Meinung
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Nachdem mich "Babel" so begeistert hatte, war ich natürlich neugierig auf das neue Werk der Autorin. Ohne zu wissen, worum es geht, hab ich mich direkt in die Geschichte gestürzt und war sofort gefesselt. Ich hatte nicht damit gerechnet, mich hier so viel mit der Buchbranche und der Verlagswelt auseinander setzen zu müssen, muss aber sagen, dass es für mich als Vielleserin schon sehr spannend war, sozusagen einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

June Hayward erzählt gleich zu Beginn, wie ihre Freundin Athena direkt vor ihren Augen stirbt. Aus einer Kurzschlusshandlung heraus klaut sie deren neuestes Manuskript, um, wie sie sich selbst einredet, dem letzten Werk ihrer Freundin die verdiente Aufmerksamkeit zu schenken. Indem sie es überarbeitet, ausfeilt und schließlich unter ihrem Namen veröffentlicht. Und den Ruhm dafür einheimst. 
Denn June steht schon lange in Athenas Schatten, der alles buchstäblich in den Schoß fällt. Vor allem ihre Karriere als Autorin entfachte immer wieder neidvolle Momente, denn Junes Debüt hat kaum Interesse geweckt. 
Die kurzen Beschreibungen von Athena durch Junes Augen haben sie für mich nicht wirklich sympathisch gemacht. Sie wirkt wie eine Überfliegerin, die alles als gegeben hinnimmt und sich in ihrem sonnigen Zenit dreht, ohne jegliches Interesse an anderen. Weshalb sie wohl auch außer June keine Freunde hatte. 
June selber ist aber auch nicht besser. Vor sich selbst verteidigt sie ihr Handeln natürlich damit, das Manuskript "für Athena" zu veröffentlichen - im Endeffekt möchte sie aber selbst Erfolg haben, das Geld kassieren und vor allem endlich im Rampenlicht stehen. Etwas bedeuten, gesehen werden und ganz oben dabei sein. 
Dabei biegt sie sich die Wahrheit immer so zurecht, dass sie ihr in den Kram passt und belügt sich so sehr selbst, bis sie es schließlich selber glaubt. Der winzige Rest an Selbstzweifeln zwickt dann immer nur, wenn sie kurz davor steht, aufzufliegen. 

Dazu hat mir besonders das Cover gefallen, wenn man den Schutzumschlag abnimmt: 



"Die letzte Front" heißt der Entwurf von Athenas Manuskript, in dem es um die Heldentaten chinesischer Arbeiter während des Ersten Weltkriegs geht. Nun war ja Athena chinesisch-amerikanisch, während June einfach eine "weiße Amerikanerin" ist und sie schnell merkt, dass viele dieses Merkmal kritisch sehen. Darf sie überhaupt über asiatische Kulturgeschichte schreiben, wenn sie keine asiatischen Wurzeln hat? 

Die Autorin bindet viele rassistische Vorurteile in diese Geschichte ein, dass sich mir irgendwann alles im Kopf gedreht hat: was man denn nun darf, sollte oder lieber bleiben lässt. 
Für mich steht jedenfalls fest, dass jeder über alles schreiben darf. Thriller- bzw. Krimiautoren haben ja (hoffentlich) selbst keine Morde begangen und schreiben darüber, genauso wie historische Romanautoren sicher nicht im 14. Jahrhundert gelebt haben usw. Da gibt es unendliche Beispiele, sonst dürften wir ja nur noch Autobiografien lesen. 
Vorurteile gibt es immer, genau deshalb sollten wir eher hin- als wegsehen und offener kommunizieren, dann folgen daraus auch weniger Vorwürfe, sondern mehr gegenseitiges Verständnis!
 
Weiter geht es mit den sozialen Medien, den Trollen, die immer wieder gerne auftauchen und Hetze verbreiten. Meist ungerechtfertigter Weise, was aber schwierig wird zu widerlegen, weil oft alles plötzlich möglich erscheint, wenn es wo steht und somit hinterfragt wird. Ein Vorwurf wird dann doch von vielen Ernst genommen oder zumindest als möglich angesehen, ohne zu wissen, ob es wahr ist oder nicht. Damit haben ja viele zu kämpfen und einmal ins virale Netz gebracht, ist es kaum mehr auszumerzen.

Sie kennen mich nicht. Sie können mich nicht kennen; sie sind mir nie begegnet. Sie haben Informationsfetzen über mich aus dem Internet gepflückt und diese zu einem Bild zusammengesetzt, das der Schurkin in ihrer Vorstellung entspricht, jedoch nichts mit der Realität zu tun hat.
Zitat Seite 175

Die Autorin hat hier eine spannende Satire geschaffen, die sich sehr um die Verlagswelt dreht, aber dadurch tiefe Einblicke in die Medienbranche gibt. Gerade was auch die Sichtbarkeit angeht, den Druck ständig öffentlich präsent zu sein, keine Schwächen zu zeigen, die einem irgendwie negativ ausgelegt werden könnten, immer neues zu bieten, neues zu schreiben, um nicht in Vergessenheit zu geraten - das alles wirkt nicht mehr wie ein schöner Prozess, um seine inneren Gedanken, seine Geschichte auf Papier zu bringen, sondern um Verlage und Leser irgendwie zufrieden zu stellen.
Das zieht auch immer mehr seine Kreise und hört man immer öfter, was extrem schade ist. 

"Es muss nicht großartig sein, Junie. Wir wollen damit nicht den Pulitzer gewinnen. Es muss nicht mal so ähnlich sein wie Die letzte Front." Brett macht eine Pause. "Du musst nur veröffentlichen, weißt du? Irgendwas. Egal was."
Zitat Seite 233

Was mich allerdings etwas gestört hat war der Versuch mit der gendergerechten Übersetzung. Größtenteils ging es, aber manche Abschnitte haben mich echt genervt, weil es den Lesefluss für mich erheblich stört wenn es so gehäuft auftrat:  


Eine fesselnde Geschichte mit unglaublich vielen Anregungen zum Nachdenken über Plagiate, Diskriminierungen, Mobbing, Neid, zerstörte Hoffnungen und Ängste und unsere schnelllebige Zeit, in der der Schein mehr zählt als das Sein.


Meine Bewertung
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Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.
 Es gab diesbezüglich keinerlei Vorgaben und die Rezension 
spiegelt meine ganz persönliche Meinung wider.


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10 Kommentare:

  1. Liebe Aleshanee

    Nach deiner Rezi muss ich das Buch unbedingt als nächstes lesen. Für uns Leseratten ist doch die Thematik maßgeschneidert. Noch dazu wird hier bestimmt die Wahrheit satirisch dargestellt.

    Liebe Grüße von der Gisela. Tolle Besprechung von dir.

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    1. Vielen Dank! Freut mich wenn ich dich neugierig machen konnte :)

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  2. Hallo liebe Aleshanee,

    eine tolle Rezension, die das Buch sehr gut beschreibt. Ich war nach "Babel" genau so gespannt auf ihren neuen Roman. Wie du schon sagtest: Sehr außergewöhnlich und interessant. Auch wenn die Geschichte nicht immer einfach ist, fand ich sie sehr spannend.

    Vielen Dank für die Verlinkung! <3 Ich habe deine Rezension ebenfalls bei mir verlinkt.

    Liebe Grüße
    Nicole

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    1. Ja, das war wirklich interessant, auch was die Verlagswelt betrifft :D
      Deine Rezension muss ich noch lesen, ich bin noch nicht dazu gekommen...

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  3. Hallo liebe Aleshanee,
    das Buch ist mir mittlerweile schon häufiger auf Socialmedia begegnet. Eine ausführliche Rezension habe ich bislang aber noch nicht dazu gelesen gehabt. Umso interessanter fand ich deine Meinung. Die Autorin scheint einige Themen eingebaut und zudem auch gut umgesetzt zu haben.

    Ich weiß nicht, wie gut ich hier mit den Figuren klargekommen wäre, zumal sie, wie du schreibst, nicht gerade Sympathieträger waren.

    Auch verstehe ich gut, dass dich die gendergerechte Formulierung desöfteren aus dem Lesefluss gerissen hat. Das wäre mir vermutlich auch so gegangen.

    Ein sehr interessantes Buch jedenfalls. Ich danke dir für diesen ausführlichen und interessanten Einblick!

    Ganz liebe Grüße
    Tanja :o)

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    1. Um das Buch kommt man nicht rum, das seh ich seit 2 Wochen überall :D
      Da ich ja "Babel" von der Autorin schon so mochte, war klar dass ich es lesen möchte und es ist zwar ganz anders, aber echt klasse gemacht, finde ich.
      Auch wenn die Protagonistin nicht wirklich sympathisch ist, gibt es gerade dadurch tolle Einblicke aus ihrer Perspektive. Gerade das fand ich echt gut!

      Das Gendern, naja, also diese Doppelpunkte, das kann ich vielleicht im Arbeitsbereich oder ähnlichem so schreiben, aber in einem Buch finde ich diese Lösung irgendwie unvorteilhaft. Es war ja nicht ständig, aber grade wenns so geballt daherkam, war es schon störend beim Lesen. Für mich.

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  4. Hallo Aleshanee,

    eine ganz tolle Rezension! Bisher konnte ich mir nicht so recht vorstellen, was sich hinter dem Klappentext verbirgt. Ich muss das wohl lesen. Es klingt wirklich toll.

    Ja, das mit dem Gendern ist so eine Sache. Manchmal mache ich es, manchmal nicht. Je nach Lust und Laune. In Büchern ist es mir bisher nicht arg aufgefallen oder hat mich gestört. Aber vielleicht habe ich solche Bücher auch noch nicht erwischt.

    Ich muss schon sagen, dass mir die allgemeine Entwicklung sehr, sehr sauer aufstößt und ich denke, dass es in die gegensätzliche Richtung führt, wenn Unterschiede ständig betont oder gar künstlich geschaffen werden. Schade, dass durch etwas gut Gemeintes, dein Lesefluss gestört wurde.

    Jedenfalls möchte ich "Yellowface" gerne lesen. Gerade das Geschehen im Verlagswesen finde ich recht spannend und interessant.

    Liebe Grüße
    Nicole

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    1. Ich fands wirklich äußerst fesselnd und super spannend aufgebaut!

      Die Entwicklung mit den ganzen Veränderungen in der Schrift, damit komme ich einfach nicht so leicht klar... alleine schon als daß zum dass geworden ist, überhaupt die Änderungen mit dem Doppel S und einiges andere war schon eine riesige Umstellung für mich. Und ich finds halt überflüssig - ich bezeichne mich selber auch als Blogger oder Leser, mir ist das "in" dahinter schon immer zu lang xD

      Eben, warum hervorheben, und nicht einfach so lassen und als natürlich ansehen, warum x neue Bezeichnungen und nicht eine, mit der man alle mit einbezieht? Naja, mal sehen wohin das ganze noch führt....

      Ich bin gespannt wie du es findest, solltest du es lesen :)

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  5. Liebe Aleshanee

    Ach....das Buch möchte ich wirklich so gerne bald lesen, aber der SuB, der SuB und irgendwie stolpere ich auch immer über Bücherschrankbücher ;-)

    Absolut tolle Rezension. Dein Kritikpunkt hätte mich jetzt überhaupt nicht gestört, also steht dem Buch eigentlich nichts mehr im Wege.

    Alles Liebe an dich
    Livia

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    1. Irgendwann kommt schon die richtige Zeit dafür :) Es geht uns ja allen so - ich hab momentan auch so viele Bücher, die ich am liebsten jetzt sofort lesen möchte!

      Ja, das Gendern hier ist sicher für viele kein Problem, aber ich wollte es einfach zeigen - manche mögen das ja sogar als positiv sehen ;)

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