Amerika in der nahen Zukunft:
Zusammengepfercht in riesigen Megacities leiden die Menschen unter den Folgen der Überbevölkerung und des Klimawandels wie Smog, Dürreperioden und extreme Hitze. Aus Sorge um das Leben ihrer fünfjährigen Tochter Agnes nimmt die junge Mutter Bea an einem nie dagewesenen Regierungsexperiment teil: Gemeinsam mit zwanzig anderen Pionieren möchte sie in einem der staatlich geschützten Nationalparks, zu denen Menschen eigentlich keinen Zugang haben, im Einklang mit der Natur leben. Doch der Alltag in dieser neuen Wildnis wartet mit ganz eigenen Herausforderungen auf, und schon bald stoßen die Pioniere an ihre Grenzen ...
Die neue Wildnis von Diane Cook
Genre Dystopie -- Schauplatz Amerika
Im Original The New Wilderness -- übersetzt von Astrid Finke
Verlag Heyne -- Seitenzahl 542
1. Ausgabe Mai 2022
Meine Meinung
❦ ❦ ❦ ❦ ❦ ❦ ❦ ❦
Auf das Buch aufmerksam geworden bin ich durch die Rezension auf
Feiner reiner Buchstoff.
Dystopien hab ich in letzter Zeit etwas vernachlässigt, weshalb ich gerne mal wieder etwas in der Richtung ausprobieren wollte: es hat sich gelohnt!
Für den Einstieg hat die Autorin direkt eine sehr traurige, erschreckende
Szene gewählt, die aber sehr ruhig und eher emotionslos erzählt wird. Der Tod
ist in dieser Wildnis, fernab jeglicher Zivilisation, ein ständiger Begleiter.
Er gehört dazu und wird angenommen, mehr oder weniger, alles andere wäre auch
schwer zu verkraften bzw. muss man sich eine gewisse Härte zulegen.
Sterben war so normal wie Leben. Sie sorgten sich umeinander, natürlich, aber wenn einer von ihnen aus welchem Grund auch immer zu überleben aufhörte, schlossen sie die Reihen und steckten ihre Energie in das, was weiter lebendig blieb.Zitat Seite 57
Bea, ihr Mann Glen und ihre mittlerweile 8jährige Tochter Agnes gehören zu
dieser auserwählten Gruppe, die das Experiment in der Wildnis gewagt hat. Die
Erde ist in dieser Zukunft stark durch Gifte geschädigt und da Agnes schwer krank ist und kaum Überlebenschancen hat, hat sich Bea entschlossen, den Versuch zu wagen. Die frische
Luft war das einzige Mittel, um ihrer Tochter zu helfen - und tatsächlich ist
Agnes jetzt ein kerngesundes Kind.
Wie auch die Erwachsenen beeinflusst dieses Leben natürlich auch das
"aufwachsen". Die Sorgen sind völlig anders gewichtet - es geht nicht um
gesunde Ernährung, einen erfolgreichen Job, ein tolles Aussehen, "was zieh ich
heute an", etc. Kein Handy, kein Fernsehen, keine Nachrichten - reines: Leben!
Während dem Lesen kamen mir viele Gedanken. Zum Beispiel auch, dass sich alles
verlagert hat. Früher gab es im Äußeren Gefahren und Ängste, die wir
heutzutage nicht mehr kennen. Jeder hat genug zu essen und ein Dach über dem
Kopf (zumindest in den industriellen Ländern). Das innere Gleichgewicht allerdings, der
Natur zu folgen, hat sich ebenfalls gewandelt, so dass wir jetzt die Ängste
dafür im Inneren tragen.
Bea empfindet ja das Verhalten teilweise unmenschlich, was sich in ihrer
Gruppe abspielt bzw. wie es sich entwickelt - wobei man natürlich erstmal
überlegen muss, was der Begriff "menschlich" überhaupt beinhaltet. Allerdings
denke ich, dass so eine zusammengewürfelte Gruppe nicht immer den Zusammenhalt
erfahren kann, als wenn eine Familie, eine Gemeinschaft schon immer beisammen
und in diesen Umständen gelebt hat. Das kann man nicht vergleichen.
Denn genauso haben wir Menschen ja sehr lange überlebt - ohne die Natur zu
zerstören ;)
"... ihre eigene Tochter, die seltsam war und affektiert lächelte, die offenbar nicht wusste, was Liebe war, die zu verwildert war, um es zu wissen, die jetzt Aufmerksamkeit wollte, die sie vorher kaum gesucht hatte und jetzt nicht verdiente.Zitat Seite 187
Bea war mir nicht so wirklich sympathisch. Alleine das Zitat spricht für sich, denn woher sollte ihre Tochter lernen zu lieben, wenn sie ihr es selbst nie wirklich gezeigt hatte - außer in Angst und Sorgen. Nichts ist so gelaufen, wie sie sich das vorgestellt hat - doch wann ist das schon so? Ich denke, diese Schuld auf die Tochter
zu schieben nagt an ihr und deshalb kann sie ihr nicht wirklich die erwartungslose Liebe
entgegen bringen. Doch ein Leben mit einem Kind kann man nicht planen.
Man sollte es nicht planen, denn es ist ein eigenständiger Mensch, der da
heranwächst, den man unterstützen sollte in allem, was auf ihn zukommt. Kontrolle ist eine Illusion, an die wir uns zu sehr gewöhnt haben und dann völlig überfordert sind wenn wir erkennen, das die Natur über unser Leben bestimmt.
Ich fand es sehr gut, dass es einen Wechsel gab und aus Agnes Sicht weitererzählt wurde. Auch für sie ist die Beziehung zu Bea, ihrer Mutter, alles andere als einfach. Zum einen spürt sie natürlich die Sehnsucht nach einer liebenden Mutter in sich, zum anderen spürt sie sehr genau die Ablehnung, die Schuldzuweisung, und entwickelt eine Art Hass.
Allerdings kann sie sich an das Leben sehr gut gewöhnen. Für sie ist es normal, da sie ja mit 4 Jahren in die
Wildnis gekommen und hier aufgewachsen ist.
Agnes konnte mit dieser Diskussion nichts anfangen. Wen interessierte schon das Warum oder Wie? Wen interessiert würde oder würde nicht? Sie hatte noch nie begriffen, warum die Erwachsenen immer über diese Wörter debattierten. Sollen und nicht sollen. Dürfen und nicht dürfen. "Sein und machen", murmelte sie vor sich hin. Das war das Einzige, was zählte. Sein und machen. Jetzt in diesem Moment und kurz danach.Zitat Seite 216
Sie lebt im Augenblick. Sie lebt mit der Natur, mit den Jahreszeiten, die sie einzig durch die Veränderungen erkennt. Sie liest die Fährten, findet Wege, lernt zu überleben. Nur die Menschen, die bleiben ihr fremd. Eine Auswirkung der Gruppe, die nicht an einem Strang zieht, die trotz Zusammenhalt jeder für sich wirkt und auch durch die Auflagen des Staates, die Regeln, die sie zu befolgen haben und keine wirkliche Freiheit zulassen.
Der Schreibstil wirkt sehr ruhig und nüchtern, dennoch schafft es die Autorin,
grade die Flora und Fauna sehr bildhaft rüberzubringen. Das Lernen von den
Tieren zu Beispiel, auf ihre Reaktionen zu achten und dadurch Gefahren zu
erkennen oder auch Wasser zu finden fand ich sehr faszinierend!
Auch die einzelnen Figuren der Gruppe sind teilweise sehr konkret in ihrer Rolle, andere eher blass, Randfiguren, oder Mitläufer und nicht jeder schafft es, sich den Gegebenheiten anzupassen.
Ich war jedenfalls gebannt von der gesamten Situation, dem Leben in dieser Wildnis und wie die Menschen auf unterschiedliche Weise damit umgehen.
Meine Bewertung
❦ ❦ ❦ ❦ ❦ ❦ ❦ ❦
Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.
Es gab diesbezüglich keinerlei Vorgaben und die Rezensionspiegelt meine ganz persönliche Meinung wider.
Huhu Aleshanee :D
AntwortenLöschenDa ist deine Rezension ja schon und ich finde, es klingt auf jeden Fall sehr interessant!
Sich bewusst zu werden, im Augenblick zu leben und nicht im Gestern oder Morgen gehörte für mich ja auch zu einer wichtigen Erkenntnis und ich glaube, dies ist auch das, was die Natur einen sehr schön vermittelt.
Das Leben ist viel zu kurz, deswegen ist es wichtig bewusst zu leben. Und das kann ja auf vielerlei Arten geschehen. Ich glaube nur, dass solche Projekte von Menschen, die verschiedene Ansichten zum Leben haben, oft zum scheitern verurteilt sind. Eben weil man meistens doch nicht bereit ist, von einander zu lernen. Dabei wäre das wohl das wichtigste daran!
Liebe Grüße
Jessi
Ja, ich denke, in der Natur geht es auch gar nicht anders. Du weißt nie was morgen ist ... welches Wetter, was dich ja sehr beeinflusst, welchen Tieren du begegnest, ob der Weg frei ist den du gehen willst etc... da bleibt dir oft gar nichts anderes übrig. Aber umso schöner, wenn du dann die Momente im Jetzt so bewusst erlebst :)
LöschenEs sollten auf jeden Fall alle an einem Strang ziehen und zumindest ähnliche Ziele haben und ähnlich darüber denken, anders funktioniert es nicht
Das klingt wirklich sehr interessant, tiefsinnig und lesenswert. Danke für die Vorstellung und Deine Meinung.
AntwortenLöschenSehr gerne ! Freut mich wenn es dich neugierig macht :)
LöschenDankeschön für die Verlinkung und auch für die spannende Sicht auf die Geschichte. Wir haben sie beide sehr geschätzt und dabei doch unterschiedlich wahrgenommen. Das ist es was ich an Büchern liebe, es ist nichts direkt vorgezeichnet und löst unterschiedliche Empfindungen aus. Ich habe die Liebe der Mutter sehr deutlich wahrgenommen, und besonders den permanenten Stress und die Angst um ihr Kind weswegen sie sich so verhielt wie sie es tat. Sie möchte ihre Tochter am Leben halten. Nicht einfach in so einer zusammengewürfelten Menschengruppe am Existenzminimum und diese Gruppendynamik fand ich total faszinierend. Menschen im Ausnahmezustand, denn Menschen sollten so nicht leben müssen, ohne feste Bleibe. Liebe gab es sehr viel nur nicht so offensichtlich fand ich. Ein spannendes, faszinierendes Buch und eine toll erzählte Geschichte.
AntwortenLöschenHey :)
LöschenDie Liebe der Mutter hier, ja die war da, aber immer in Verbindung mit irgendwelchen Abhängigkeiten - zumindest kam es für mich so rüber. Als nichts mehr geklappt hat und die Krankheit der Tochter sie sozusagen zwingt, dieses Leben zu führen, kann sie sie nicht mehr richtig zeigen. Den Eindruck hatte ich zumindest. Ich fand das teilweise echt schlimm. Wenn ich Angst um mein Kind hab bin ich anders ^^ Und ich kann es schon nachvollziehen aber nicht verstehen wie man da so abweisend und herausfordernd sein kann...
Naja, Menschen haben ja ganz früher immer so gelebt, also als Nomaden, das finde ich jetzt nicht wirklich schlimm. Es funktioniert ja auch. Nur dieses permanente weiterschicken, also der begrenzte Zeitraum von wenigen Tagen, das fand ich übertrieben. Sie bzw. wir sind das halt nicht mehr gewohnt immer weiterzuziehen.
Es war definitiv faszinierend, vom Leben an sich in der Natur wie auch von der Gruppendynamik her.
Liebe Grüße noch :)
AntwortenLöschenDas klingt suuuper!
AntwortenLöschenIch mag diese Flora und Fauna Beschreibungen sehr. Auch hier wären wir wieder beim Wohlfühlmodus^^
Und tatsächlich bin ich gespannt auf Bea. Das Zitat sagt wirklich einiges aus.
Aber manchmal brauch eine Geschichte solch einen Charakter.
Liebe Grüße
Thursdaynext - siehe oben der anonyme Kommentar (von ihr hab ich den Tipp von ihrem Blog Feiner reiner Buchstoff) hat das mit Bea ja etwas anders gesehen. Da spielen wohl auch viel die eigenen Gefühle mit. Aber Bea als Mutter, also ich fand sie ganz schrecklich. Klar hat sie auch ihr eigenes Päckchen zu tragen, aber ich als selber Mama könnte diese negativen Gefühle nicht derart auf die Tochter abwälzen. Manchmal macht man das natürlich trotzdem, unbewusst, aber man reflektiert ja bzw. sollte man das machen. Und da gab es einiges was für mich nicht schön war zu lesen und was mir Bea unsympathisch gemacht hat.
LöschenAber wie du schon sagst: solche Charaktere sind in Geschichten auch wichtig.
Liebe Aleshanee
AntwortenLöschenOh, wow, das Buch ist mir noch gar nicht begegnet und trotzdem bin ich gleich an deiner Rezension hängengeblieben und neugierig geworden. Herzlichen Dank für den Tipp, das könnte mir sehr, sehr gut gefallen.
Alles Liebe
Livia
Das ist auch grade frisch rausgekommen, ich bin auch nur zufällig durch die Rezension drüber gestolpert - es hatte mich sofort angesprochen :)
Löschen