Samstag, 13. April 2024

[1. Trilogie] Erdsee von Ursula K. Le Guin

Auf einem Eiland der Inselwelt Erdsee lebt der junge Ged. Von allen nur Sperber gerufen, führt er ein einfaches Leben als Sohn eines Bronzeschmieds. Erst als brutale Räuberhorden sein Dorf überfallen, entdeckt er, dass er über geheimnisvolle, übernatürliche Fähigkeiten verfügt. Es gelingt Ged mit Hilfe der Magie, die Banditen abzuwehren, und fortan ist nichts mehr, wie es war.

Sperber wird Lehrling an der berühmten Zauberschule von Rok und stellt dort seine Fähigkeiten unter Beweis: Er beschwört die Mächte der Schatten und schafft eine Verbindung zum Totenreich. Dabei erfährt er, dass ein Riss durch dieses Reich geht, der die Welt der Lebenden zu verschlingen droht. Gemeinsam mit der wiedergeborenen Hohepriesterin Tenar stellt sich Ged einem scheinbar aussichtslosen Kampf um die Rettung von Erdsee ...





Erdsee von Ursula K. Le Guin

mit den ersten drei Bänden:
 ›Ein Magier von Erdsee‹, ›Die Gräber von Atuan‹, ›Das fernste Ufer‹
neu übersetzt von Karen Nölle
Genre Low Fantasy

Verlag Fischer TOR --- Seitenzahl 592
1. Auflage im Original im Jahr 1968




Meine Meinung
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Seit langer Zeit schon wollte ich die Bücher über die geheimnisvolle Inselwelt Erdsee lesen und ich freu mich, dass ich die erste Trilogie endlich für mich entdeckt habe. 
In den 1970 Jahren wurde die erste Geschichte geschrieben von einer Frau, die sich zur damaligen Zeit vor allem im Science Fiction Bereich einen Namen gemacht hat und die lange Riege der schreibenden Männer durchbrochen hat. 
Die Themen in diesen Büchern sind wichtig, berührend und mit viel Feingefühl umgesetzt - ohne aufdringlich zu wirken und oft nur zwischen den Zeilen spürbar. Ein großartiger Stil, der die vielen Inseln dieser Welt zum Leben erweckt und uns eine Reise ermöglicht, die uns mit den Protagonisten durch innere und äußere Kämpfe führt, aber auch die Gesellschaft der damaligen (und heutigen) Zeit widerspiegelt. 

Ein Magier von Erdsee
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Duri wächst in einem etwas lieblosen Zuhause aus unter der harten Hand seines Vaters, dem Dorfschmied. Als seine Tante allerdings merkt, dass er magisch begabt ist, verrät sie ihm allerhand Zaubersprüche, die allerdings auf kleine Alltäglichkeiten beschränkt sind und viele Zauberkundige beherrschen. 
Duri wird sehr stolz auf sein Können und durch eine raffinierte Rettung wird ein Magier auf ihn aufmerksam, der ihm seinen "wahren Namen" gibt. 

Das mit den Namen und der Magie dahinter fand ich sehr spannend! Hab ich zwar schon öfter gelesen, aber eben in neueren Büchern. Damals war das sicher noch komplett frisch und unverbraucht und die Macht, die jemand bekommt, wenn er den "wahren" (und geheimen) Namen kennt, hatte eine reizvolle und wichtige Komponente im Verlauf der Geschichte.

Duri, mit dem neuen Namen Ged, soll ein großer Magier werden, schießt aber bald über sein Ziel hinaus. Sein Stolz und seine Überheblichkeit, die ihn anfangs auch eher unsympathisch wirken lassen, beschwören ein Unheil herauf, dem er nicht mehr entfliehen kann.
Die Entwicklung von dem selbstgefälligen Jungen zu einem in sich gekehrten und geläuterten jungen Mann war großartig zu verfolgen und hat mich über weite Wege schon einige Inseln dieser Welt kennenlernen lassen. 
Auch die Freundschaft mit Vetsch, einem anderen Zauberkundigen, war ein wichtiger Grundstein in Geds Leben und ohne ihn und seinen alten Mentor hätte er wohl nicht geschafft, was ihm letztendlich gelungen ist.

Übrigens gibt es auch ein tolles Nachwort der Autorin, dass ich mit Neugier gelesen habe. Ihre Sicht auf die damalige Zeit, als das Buch entstand (1967), in der z. B. der Protagonist Ged eine dunkle Hautfarbe hat, was aber nicht auf dem Cover gezeigt und größtenteils nicht mal wahrgenommen wurde - wie auch ihre Weigerung, für Fantasy als Kernthema immer Kriege und Schlachten herhalten zu lassen. Vor allem auch da diese Geschichte ja eher für ein jüngeres Publikum (Jugendliche) gedacht war. Die Suche nach sich selbst, das Erkennen und Annehmen, wer man ist, mit allen Stärken und Schwächen, kann ebenfalls ein schwieriges "Kampf" sein - mit einem umso schöneren Ziel.


Die Gräber von Atuan
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In dieser Geschichte befinden wir uns auf einer eher öden Insel im Reich Kargan. Hier haben die uralten, dunklen Götter der Namenlosen noch ein großes Gewicht und so geschieht es, dass die Priesterin der Gräber von Atuan schon über Jahrhunderte über die Tempelstätte herrscht. Ihre Wiedergeburt wird in jungen Mädchen gesucht, die zum Todeszeitpunkt der alten Priesterin geboren wurden und so gerät schließlich Tenar im Alter von 5 Jahren in die Obhut dieser Gemeinschaft. 
Nach einem Jahr wird sie in einer Zeremonie "verzehrt" und zu Arha, so dass ihr altes Leben verschwindet und sie in der Rolle als wiedergeborene Priesterin den Willen der Namenlosen ausübt.

Hier haben wir also ein Mädchen als Protagonistin, das wir beim Aufwachsen begleiten. Einem Leben, das geprägt ist von Pflicht, strengen Regeln und Routine. Doch Arha hat auch eine große Macht, das einzige, an dem sie sich festzuklammern versteht in dem lieblosen Kreis der Gläubigen - und ihr auch erliegt. In ihrer Einsamkeit und dieser immensen Bürde leidet sie sehr unter dem Druck, der auf ihr lastet, außen zu stehen und nirgends wirklich dazu zu gehören. Dazu kommt, dass sie keine Schwäche zeigen möchte und trotzdem tief im Inneren danach lechzt, Anerkennung und Lob zu bekommen. 

Als dann eines Tages etwas völlig unerwartetes passiert, gerät alles ins Wanken, woran sie bisher geglaubt hat und sie muss eine Entscheidung treffen, die ihre Zukunft in zwei Wege teilt. 

Während im ersten Band der Kampf gegen die innere Dunkelheit das Hauptthema ist, wirkt hier das namenlose Grauen im Außen, die undurchdringliche Düsternis und Hoffnungslosigkeit: grausam und tödlich. Doch auch das gehört zum Leben, denn ohne die Dunkelheit findet man auch kein Licht. Die Autorin hat das hier so genial beschrieben und mit viel Liebe zum Detail geschrieben, so dass man regelrecht eingesogen wird in diese kleine Welt, in der Arha zu bestehen versucht. 

Auch hier gibt es ein Nachwort, in der die Autorin darauf eingeht, wie die Idee hierzu entstanden ist und wie diese weibliche Hauptrolle in einer Zeit, in der es im Fantasygenre wenige weibliche Heldinnen gab, erwachsen ist. Lohnt sich auf jeden Fall zu lesen!

Freiheit ist eine schwere Last und eine seltsame Bürde für die Seele, die sie auf sich nimmt. Sie ist nicht leicht. Sie ist kein Geschenk, das man bekommt, sondern eine Entscheidung, die man trifft, und die Entscheidung kann hart sein.
Zitat Seite 319

Das fernste Ufer
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Arren, ein Königssohn aus Enlad, kommt auf die Insel Rokh mit einer wichtigen Botschaft: Die Zauberer verlieren ihre Magie, ihre Worte, die wahren Namen. Doch nicht nur dort schleicht sich diese Verlorenheit ein, denn von überall her dringen ähnliche Nachrichten durch, die die Meister Magier nicht so recht einzuschätzen wissen. 

Der Erzmagier jedoch nimmt Arren mit auf eine Reise, um diesen Entwicklungen auf den Grund zu gehen. 

Mit Arren haben wir einen stolzen und tapferen jungen Mann, der gerne im Dienste des Erzmagiers steht und von Beginn an eine tiefe Verbundenheit mit ihm verspürt. Umso schlimmer für ihn, als er auf dieser Reise in die entlegensten Gegenden des Inselreiches kommt und leise Zweifel auftauchen - an der Macht des Magiers und am Sinn der Reise, dessen Ziel ihnen lange unbekannt ist. 

Hier lernen wir etwas mehr von Erdsee kennen. Verschiedene Völker mit ihren ganz eigenen Lebensstilen und Bräuchen - und alle von ihnen scheinen von dieser neuen "Seuche" befallen zu sein, die sie etwas suchen lässt, dass jedoch nie erreichbar zu sein scheint. 
Diese Inseln und die Lebensweisen kennen zu lernen war spannend und beinhaltet viele originelle Ideen. Wobei auch hier wieder die beiden Protagonisten im Vordergrund stehen, die auf ihrer Reise zu verstehen versuchen, was mit ihrer Welt passiert. 

Auch die Drachen haben einen Auftritt, die in ihrer Bedeutung als uralte, ewige Wesen imposant wirken und man sie fast schon vor sich sieht, wie sie sich elegant und kraftvoll durch die Lüfte schwingen. Obwohl man sie etwas besser kennenlernt bleiben sie einem doch fern, was ihre mystische Größe noch unterstreicht.

Die Themen sind allgegenwärtig: das Gute und das Böse, das Licht und die Dunkelheit, das Leben und der Tod -> und das Streben nach Unsterblichkeit. Im Nachwort spürt man, wie die Autorin viele aktuelle Themen der Gesellschaft mit hineingewoben hat und wie sehr sie sich mit ihrer Geschichte auseinander gesetzt hat. Wie viele andere hat sie sich nicht von Anfang an festgesetzt wohin ihr Weg führen wird, sondern hat sich von den Charakteren leiten lassen, mit denen sie zusammen die vielen Abenteuer durchlebt hat. 

Ich hab mir auch viele tolle Zitate notiert, von denen ich euch drei gerne zeigen möchte:

"... aber wenn wir nach Macht über das Leben streben - nach grenzenlosem Reichtum, uneingeschränkter Sicherheit oder Unsterblichkeit - dann entwickelt sich Verlangen zur Gier. Und wenn Wissen sich in den Dienst dieser Gier begibt, kommt das Böse. Dann kippt das Gleichgewicht der Welt, und Zerfall drückt die Waage nach unten."
Zitat Seite 371

"... ich weiß, dass es nur eine Macht gibt, die echt ist und die es sich zu haben lohnt. Und das ist die Macht, nicht zu nehmen, sondern hinzunehmen."
Zitat Seite 468

"Um das Licht einer Kerze zu sehen, muss man sie in die Dunkelheit tragen."
Zitat Seite 47

Viele großartige, berührende Botschaften. Gerade die letzte hat mich nicht losgelassen und zum Nachdenken gebracht. Denn ein Licht in hellen Räumen mag zwar strahlen, bewirkt aber nicht viel. Wenn es sich aber ins Dunkel wagt, kann es manches erhellen und Hoffnung schenken, das in der Düsternis gefangen war.

Als Bonus gibts am Ende noch zwei tolle Kurzgeschichten und interessante Einblicke auf die Völker, Sprachen und Entwicklungen in Erdsee, sowie der Drachen und der Magie.


Mein Fazit
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Man merkt hier einen anderen Stil, als den man heutzutage in dem Genre gewohnt ist - und ich bin davon sehr begeistert! Auch wenn man die Welt kennenlernt lenkt sie den Fokus auf die jungen Protagonisten, die anfangs in ihren bisherigen Erfahrungen feststecken und erst durch neue Wege und Begegnungen lernen, ihre Sicht über den Tellerrand zu heben. Dazu kommen aber auch große Themen, die jeden Menschen mal mehr, mal weniger bewegen, Themen zur Gesellschaft und dem Leben an sich - alles eingebettet in eine großartige magische Welt von Erdsee und einer Spannung, die ohne Action oder blutrünstige Kriege auskommt. 


Meine Bewertung
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Die zweite Trilogie
Tehanu, Das Vermächtnis von Erdsee, Rückkehr nach Erdsee




6 Kommentare:

  1. Hi Aleshanee,

    ich kenne weder Autorin noch Geschichte. Aber es gefällt mir, wenn mal nicht immer große Kriege in Fantasygeschichten auftauchen. Und auch, dass es anders geschrieben ist. Mal schauen, ob ich das irgendwo auftreiben kann.

    Viele herzliche Grüße
    Frank

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    1. Der Name "Erdsee" war mir schon sehr lange bekannt, vor allem tatsächlich durch einen meiner Söhne, weil der damals den ersten Band gelesen hatte und sehr begeistert war - da war er 12, glaub ich :) Seither spukt mir das immer im Kopf rum - und jetzt endlich bin ich dazu gekommen, und finde die Erzählweise wirklich toll!

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  2. Hallo liebe Aleshanee,
    deinen Einblick in die jeweiligen Geschichten, fand ich als sehr spannend zu lesen. Bei der ersten Erzählung hat mich die Entwicklung des Protagonisten neugierig machen können. Bei der zweiten Geschichte empfand ich den inneren Zwist, dem die Protoagonistin ausgesetzt ist, als spannend.
    Und die letzte Geschichte scheint mit einem tollen Worldbuilding zu glänzen.

    Alle Geschichten scheinen aber eines gemeinsam zu haben: Sehr interessante Themen.

    Ich danke dir für diesen sehr interessanten Einblick.

    Ganz liebe Grüße
    Tanja :o)

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    1. Das hast du super schön zusammengefasst, liebe Tanja, so kann man die einzelnen Geschichten gut sehen, wobei natürlich noch ein bisschen mehr drinsteckt :)
      Vielleicht auch eher was für dich als die "typische heutige" Fantasy mit den ganzen Kämpfen und Kriegen ... es ist wirklich mal anders. Gerade deshalb greife ich mittlerweile auch gerne auf ältere Reihen zurück.

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  3. Hallöchen Aleshanee,

    danke für die Vorstellung. Ich dachte immer, die Welt hat nur eine Trilogie bekommen, dass es noch mehr Bücher gibt, wusste ich nicht. Ich habe dunkel in Erinnerung, dass die Bücher mal verfilmt wurden, oder?
    Auf jeden Fall ein Fantasy-Klassiker, den ich mir irgendwann hoffentlich mal selbst genau anschauen werde.

    Liebe Grüße
    Tina

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    1. Ja, das es doch so viele Geschichten gibt hab ich auch erst erfahren als ich gesehen hab, dass zwei Trilogien rauskommen :) In der zweiten lese ich grade.

      Verfilmt wurde es, das stimmt, als Animationsfilm. Den hab ich sogar schon gesehen vor einiger Zeit und fand ihn echt nicht schlecht. Jetzt, nachdem ich die Bücher gelesen habe, wollte ich ihn nochmal anschauen, aber irgendwie, naja, sie haben da wohl einiges vermischt aus den Büchern zu einer Handlung - taugt mir jetzt nicht mehr so...

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