Freitag, 5. August 2022

[Highlight] Ich bin nicht da von Lize Spit


Leo ist seit zehn Jahren mit Simon zusammen. Er ist der wichtigste Mensch in ihrem Leben, und viele andere sind da auch nicht. Eines Nachts kommt Simon wie ausgewechselt nach Hause, völlig überdreht, mit neuer Tätowierung, neuen Freunden, neuen Zukunftsplänen. Er schläft immer weniger und wird zunehmend paranoid. Eine manische Episode hat Leos große Liebe fest im Griff. Als sie begreift, wozu Simon jetzt fähig ist, ist es vielleicht zu spät. Zu lange hat Leo alles für ihn aufs Spiel gesetzt. Nun bleiben ihr genau elf Minuten, um eine Tragödie zu verhindern, die nicht nur ihr Leben für immer verändern würde.

Ein Roman über eine junge Frau, die zusehen muss, wie ihre große Liebe von einer psychischen Krankheit geradezu verschlungen wird.
 
 
 
 


Ich bin nicht da von Lize Spit

 
Im Original (Niederländisch) Ik ben er niet -- übersetzt von Helga van Beuningen
Schauplatz Brüssel
Verlag Fischer -- Seitenzahl 571
1. Auflage Juli 2022




Meine Meinung
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Der Einstieg hat mich direkt gefesselt, denn die Autorin bedient sich hier einem Stilmittel, dem man sich kaum entziehen kann. Leo, der Protagonistin, bleiben 11 Minuten, um - ja, um was? Etwas zu verhindern, etwas schreckliches, von dem sie noch gar nichts ahnt, während sie grade ihren ersten Tag in einem neuen Job verbringt. Die Nachricht auf ihrem Handy bleibt ungelesen, die Dringlichkeit springt dem Leser aber direkt ins Gesicht. Man weiß, irgendwas passiert grade, außerhalb ihrer Reichweite und man weiß ebenfalls, dass es ihr Leben verändern wird.
 
Und dann der Cut. Der Rückblick. Der Anfang der Beziehung zwischen Leo und Simon. Der Anfang vom Ende, als Simon nach Hause kommt und völlig verändert scheint.
 
Die Autorin hat hier für mich einen grandiosen Roman geschrieben, der unter die Haut geht. 
Wie es Menschen beim Lesen dieser Geschichte damit geht, die noch nichts mit Krankheiten wie bipolarer Störung, Paranoia oder Schizophrenie zu tun hatten, weiß ich nicht, das kann ich nicht einschätzen. Und mir fehlen grade ein bisschen die Worte, weil ich so sehr mit Leo mitfühlen konnte und mich das Buch emotional mitgerissen hat - und weil ich nicht weiß, wie ich dieses Gefühlschaos hier irgendwie an euch weitergeben kann.  
Lize Spit schreibt (wie auch in "Und es schmilzt") sehr direkt, sehr offen und sehr unverblümt. Ich möchte es trotzdem nicht mit ihrem anderen Buch vergleichen, auch wenn man ihren Stil wiedererkennt. Das Thema hier ist anders und es wirkte hier auch von Anfang an mit einer Spannung, der man sich einfach nicht entziehen kann. 
 
Das Beschreiben der Beziehung von Leo und Simon wird in Rückblicken erzählt. Ihr Kennenlernen, ihre Liebe, wie sie sich aufbaut über die Jahre. Wie sie sich gegenseitig lesen können in ihrem Verhalten, ihrem Humor, ihren Gewohnheiten - wie sie zusammenwachsen als Paar mit viel Hoffnung für die Zukunft. Und doch, scheinbar unmerklich, sind da diese Kleinigkeiten. Unbemerkt und unerkannt und dennoch immer im Hintergrund. 
Als der Auslöser schließlich alles aus dem Ruder laufen lässt, ist Leo völlig überfordert. Aus ihrer Sicht erleben wir, wie unglaublich schwierig und Kräfte zehrend es ist, jemandem mit einer psychischen Krankheit beizustehen. 
Leo war  mir sehr sympathisch und habe ich sehr mit ihr mitgelitten. Sie ist so verstrickt in diese Situation, so verstrickt mit Simon und seinen Veränderungen, dass sie mit sich herumträgt wie einen Rucksack, der immer schwerer wird. Aber auch das Reden fällt schwer, diese Situation mit anderen zu teilen, denn eine wirklich gute Freundin hat sie nur in Lotte und so richtig öffnen kann sie sich ihr gegenüber nicht.

Um sich einsam zu fühlen, braucht es nicht viel; lediglich einen anderen, der den Ernst deiner Situation unterschätzt
Zitat Seite 306

Das nicht wahrhaben wollen oder wegsehen kennen wir alle, denke ich. Vielleicht nicht alle bewusst, aber wenn man genauer hinsieht, schieben wir immer wieder mal Probleme auf die Seite, damit wir uns nicht damit beschäftigen müssen. Weil es zu weh tut, weil wir überfordert sind, weil wir völlig hilflos sind.
Das spürt man auch hier bei Leo sehr deutlich, denn sie weiß überhaupt nicht, wie sie damit umgehen soll. Vielleicht hat man das Gefühl, sie hätte schon früher etwas unternehmen müssen, dass sie nur zuschaut und es hätte "sehen" müssen. Aber wenn man nicht selber in der Situation steckt hat man immer leicht reden, denn die Hoffnung, dass alles doch nicht so schlimm ist und diese "Phase" wieder vorübergeht, bleibt bestehen solange man diese Chance noch für real hält. 

Wenn ich ihr meine Sorgen eingestand, wurden sie real, dann würde ich ein Eingreifen nicht länger hinausschieben können, ...
Zitat Seite 72 
 
Ich persönlich denke, dass psychische Krankheiten trotz ähnlicher Strukturen dennoch immer ganz persönlich und individuell sind, wie sie sich im Endeffekt auswirken. Wie Lize Spit hier dieses Wechselspiel zwischen Leo und Simon beschrieben hat finde ich allerdings äußerst eindrucksvoll und realitätsnah, soweit ich das beurteilen kann. 
Durch Leos Sichtweise bleibt der Blick in die Gedanken von Simon selbst ferner, man kann ihn nur durch das Beobachten einschätzen, was allerdings ebenfalls sehr anschaulich aufgezeigt wird. Wie oben schon erwähnt ist der Verlauf solcher Krankheiten bei jedem anders und hier auf eine dramatische Weise vor Augen geführt, die aber umso besser zeigt, wie schwerwiegend die Auswirkungen sein können, wie gefährlich und verhängnisvoll - und dass aber eben doch auch ein tief verzweifelter Mensch hinter dieser Krankheit steckt, der sich seines Verhaltens meist überhaupt nicht bewusst ist. 

Und Leo steckt mittendrin, denn sie will retten, was noch zu retten ist. Sie verteidigt, sie hilft, sie schützt, während sie sich selbst immer wieder Vorwürfe macht. Sie sieht die anderen, sieht das "normale", wo sie wieder hinmöchte und versucht mit allen Mitteln, ihre kleine heile Welt wieder unter Kontrolle zu bekommen. 

Erst jetzt wurde mir bewusst, wie viel Kraft mich das über Wochen gekostet hatte. In mir war eine ganze Task-Force ausgebildtet worden, die jetzt überflüssig war.
Zitat Seite 346

Dabei verliert sie jedoch nicht nur Simon, sondern auch sich selbst. Denn das Erkennen und Handeln heißt nicht, dass alles wieder auf Anfang geht. Dass alles wieder gut wird. Dabei nimmt die Spannung und die Dramatik gegen Ende immer mehr zu, während man verzweifelt hofft, dass Leo nicht zu spät kommen wird.

Ein unglaublich intensives Miterleben dieser Geschichte hat mich sehr berührt und meine Hochachtung an die Autorin für diese tiefgreifende und lebensnahe Darstellung der Charaktere. Kein einfaches Buch, aber für mich bewunderswert umgesetzt!
 
 
Meine Bewertung
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Ebenfalls rezensiert von



Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.
 Es gab diesbezüglich keinerlei Vorgaben und die Rezension 
spiegelt meine ganz persönliche Meinung wider.





Ein Buch, das alles gibt und alles verlangt.

Mit geschlossenen Augen hätte Eva damals den Weg zu Pims Bauernhof radeln können. Sie könnte es heute noch, obwohl sie viele Jahre nicht in Bovenmeer gewesen ist. Hier wurde sie zwischen Rapsfeldern und Pferdekoppeln erwachsen. Hier liegt auch die Wurzel all ihrer aufgestauten Traurigkeit.
Dreizehn Jahre nach dem Sommer, an den sie nie wieder zu denken wagte, kehrt Eva zurück in ihr Dorf – mit einem großen Eisblock im Kofferraum. 


Hier kommt ihr zu meiner Rezension










13 Kommentare:

  1. Hallo Aleshanee! Eine sehr schöne Rezi. Das scheint wirklich ein beeindruckendes Buch zu sein, wenn auch sehr schwere Kost. Ich setze es mal auf die Wunschliste, vielleicht gibt es dafür ja mal die richtige Zeit zum Lesen.
    LG, Silke

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    1. Dankeschön Silke! Das war auch nicht so leicht auszudrücken und ich hab lange an der Rezension rumgebastelt :)

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  2. Hallo Alex,
    auch wenn du sagst, du wusstest nicht so recht, wie du deine Empfindungen in Worte fassen solltest, habe ich einen sehr guten Eindruck durch deine Rezension gewonnen und konnte deine Worte gut nachempfinden, obwohl ich das Buch ja gar nicht gelesen habe. Es scheint ein wirklich beeindruckende und zugleich erschütterndes, tiefgehendes und aufwühlendes Buch zu sein!
    Respekt wenn die Autorin es schafft, es sehr realitätsnah wirken zu lassen, selbst wenn es eben bei jedem anders ist. Es klingt wirklich nach einem sehr lesenswerten Buch und ich bin dankbar für deinen mitnehmenden Einblick ins Buch bzw. die Empfindungen, die dabei ankommen. Trotzdem weiß ich nicht, ob es "mein" Buch wäre. Wenn im eigenen Dunstkreis solche Erkrankungen ebenfalls Thema sind, dann kann es auch mal zu viel sein, das noch weiter zu intensivieren, darüber zu lesen usw.
    Liebe Grüße
    Dana

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    1. Das freut mich natürlich! Man selber weiß ja manchmal nicht so recht, wie das, was man schreibt, bei anderen ankommt - wie in den Büchern *lach*

      Ich war mir auch ehrlich gesagt unsicher, ob ich es lesen kann. Das Thema ist bei mir sehr sensibel und ich hatte ja schon mal das Buch von Neal Shusterman versucht, das fand ich überhaupt nicht ansprechend für mich in Bezug auf die KRankheit. Ich glaub, das hab ich auch nicht verstanden ^^ Was er meinte schon, aber es hat mir persönlich gar nicht weitergeholfen.
      Geholfen hat mir das hier jetzt auch nicht, aber ich hab mich wiedergefunden. Sie hat so viele Szenen und Details drin gehabt, die ich nur zu gut kenne und ich konnte mich sehr gut in die Protagonistin hineinversetzen. Das hat irgendwie gut getan, auch wenn mein Verarbeitungsprozeß anscheinend abgeschlossen ist. Ich dachte, es wäre schwieriger.

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    2. Kann ich gut verstehen! ^^ Besonders wenn man nicht spoilern will, bleibt man ja manchmal etwas kryptisch und dann fragt man sich erst recht, ob andere überhaupt verstehen, was man meint, wenn man es so sagt/schreibt, wie man es tut. ;)

      Es ist auf jeden Fall schön, dass es für dich vom Thema und der Herangehensweise funktioniert hat und man so Momente hatte, die man einfach gut nachvollziehen konnte. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass hier noch einige drauf aufmerksam werden, die es bestimmt auch sehr interessant finden, in das Buch reinzuschauen. :)

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  3. Hallo liebe Aleshanee,

    man merkt deiner Rezension vom ersten Satz deine Begeisterung für dieses Buch absolut an. Du hast es geschafft, mich mit deinen Worten sofort neugierig zu machen. Ich lese ja auch gerne schwierige Themen in Büchern. Sie müssen natürlich auch gut aufgearbeitet sein und das scheint hier absolut gegeben.

    Du zitierst: Um sich einsam zu fühlen, braucht es nicht viel; lediglich einen anderen, der den Ernst deiner Situation unterschätzt.

    Ich denke in diesem Satz steckt sehr viel Wahres. Ich denke, ein Leben kann unglaublich schnell und von einer Sekunde auf die andere zerbrechen.

    Das Buch ist auch was für mich. Das kommt auf die Wunschliste.
    Vielen Dank für diese interessante Buchvorstellung!

    Ganz liebe Grüße
    Tanja

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    1. Liebe Tanja, das war wirklich ein sehr beeindruckendes Buch - wobei man da jetzt fast nicht von "Begeisterung" sprechen kann, auch wenn ich da jetzt etwas kleinlich bin ... aber das vermittelt mir bei Büchern mit solchen Themen immer irgendwie einen falschen Eindruck. Aber das ist mein persönliches Ding... Es war definitiv faszinierend und wirklich gut umgesetzt.
      Etwas heftig vielleicht, aber gar nicht mal so weit von der Realität weg, wie man vielleicht annehmen könnte...

      Das Zitat, das du erwähnst, hat mich sehr berührt. Mein Freundeskreis ist sehr klein geworden und wenn man dann jemandem etwas erzählt, der einen einfach nicht versteht oder eben wie zitiert, den Ernst der Lage nicht sieht oder nicht sehen mag, kann man sich wirklich sehr einsam fühlen.
      Verstanden zu werden/ ernst genommen zu werden ist einfach sehr wichtig.

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    2. Hallo liebe Aleshanee,
      ich bin auch eher der Mensch: Lieber wenig Freunde, dafür welche, in deren Gegenwart ich mich wohlfühle. Dazu gehört nicht, dass immer alles glatt läuft, aber es muss eben etwas vorhanden sein, das einen aneinander bindet.
      Man kann sich in Gesellschaft von anderen Menschen auch sehr einsam fühlen. Jemand, der jeden Tag unterwegs ist, der viele "Freunde" hat, kann Abends dennoch zu Hause sitzen und dieses Gefühl verspüren.

      Sicherlich kann es aber auch bei den "richtigen" Freunden dazu kommen, dass das Gegenüber die Schwere der Situation nicht versteht. Aber hier fällt es dann vielleicht doch leichter, sich zu öffnen. Als "richtiger" Freund ist man auch feinfühliger. Man interessiert sich für das Gegenüber und sieht, wenn es ihm schlecht geht. Da hakt man dann vermutlich auch nochmal nach.

      Liebe Grüße
      Tanja :o)

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    3. Das hast du sehr schön formuliert, genauso sehe ich das auch <3

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  4. Hi Aleshanee, ja ich bin wieder da :) Und gleich hast Du einen superinteressanten Lesetipp für mich. Das Blöde ist nur, dass ich nun so viele SuB-Bücher gelesen habe, dass die Liste der Wunschbücher massiv angestiegen ist :D

    Dir noch einen schönen Sonntag
    Frank

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    1. Das freut mich sehr zu lesen! :D
      Interessant ist diese Geschichte, dieser Einblick in eine Krankheit und wie sie auf diese Beziehung wirkt, wirklich. Wenn dich sowas interessiert, kann ich es dir nur ans Herz legen. Irgendwann wird es schonmal zeitlich passen ;)

      Danke! Das wünsch ich dir auch!

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  5. Hallo liebe Aleshanee

    Das Buch ist schon länger auf meiner Wunschliste, da ich "Und es schmilzt" schon mit so grosser Begeisterung gelesen habe, bin ich schon ganz neugierig auf Lize Spits neues Buch.

    Deine ausführliche Rezension hat mich gleich noch neugieriger gemacht und meine Vorfreude - wenn man es denn so nennen kann - geweckt.

    Vielen Dank für die eindringliche Empfehlung und alles Liebe
    Livia

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    1. Dann hoffe ich dass du es bald lesen kannst!
      Das Thema sollte einen hier schon ansprechen - und man muss es "ertragen" können, solche Geschichten sind ja immer nicht so einfach.
      Aber wenn du "und es schmilzt" gut fandest, müsste dir das hier auch gefallen!

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