Sonntag, 28. Januar 2024

[Highlight] Kleine Probleme von Nele Pollatschek

31. Dezember. Steuererklärung, Wohnung putzen, Bett für die Tochter zusammenschrauben, Lebenswerk schreiben, mit dem Rauchen aufhören – eigentlich wollte Lars, neunundvierzigjähriger Vieldenker und angehender Schriftsteller, die Lücke zwischen den Jahren dafür nutzen, endlich alles zu erledigen, was in den letzten Dekaden so auf der Strecke geblieben ist. Das neue Jahr, so sein Plan, sollte in einem aufgeräumten Leben beginnen. Der Zeitpunkt dafür schien perfekt: Die Kinder waren im Auslandsjahr, die Frau unterwegs. Keiner da, der stören könnte.

Doch die Woche, in der noch alles zu schaffen gewesen wäre – plötzlich ist sie aufgebraucht. Der letzte Tag des Jahres hat begonnen – mit Nieselregen, wie sonst? Das Haus ist immer noch chaotisch. Das Leben sowieso. Und als Lars den ersten Punkt seiner To-do-Liste ansteuert, fühlt es sich an, als müsse er nicht nur sich selbst, sondern eine ganze Welt neu erfinden.

In ihrem lustigen, tragischen und philosophischen Roman erzählt Nele Pollatschek von Chaos und der Sehnsucht nach Ordnung, von perfekten Kindern und unperfekten Eltern, von Liebe, kleinen Schrauben und großen Werken. Vor allem aber erzählt sie von der Schwierigkeit, sein Leben nicht auf später zu verschieben.



Kleine Probleme von Nele Pollatschek

Genre Gegenwartsliteratur
Verlag KIWI Galiani-Berlin --- Seitenzahl 208
1. Auflage September 2023



Meine Meinung
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Als ich das Cover gesehen habe, war ich sofort neugierig. Warum, weiß ich gar nicht, es sieht auf jeden Fall total strange aus und der Titel verrät jetzt nicht auch so wirklich viel. Aber auch der Klappentext hat mich angesprochen und dass alles an Silvester spielt, was hier passiert. Da war für mich klar, dass ich dieses doch relativ kurze Büchlein dann auch an Silvester lesen werde. 

Die Meinungen hierzu fallen ja sehr unterschiedlich aus und bin mit keiner großen Erwartung an die Geschichte gegangen - und hab niemals vermutet, dass sich dahinter eine so tiefgehende und berührende Geschichte verbergen wird!

Erzählt wird sie von Lars. Er ist 49 und steht mehr oder weniger vor seinem gescheiterten Leben, in dem er es zu nichts gebracht hat. Zumindest nicht das auf die Reihe gebracht hat, dass er sich vor so vielen Jahren alles vorgenommen hat. 
Die Autorin beweist ein ungemein feinfühliges Gespür, Lars für uns greifbar zu machen. Dabei wirkt das erste Kapitel noch etwas seltsam. Denn über das Wetter zu sprechen klingt sehr nach Small Talk und warum ist der Nieselregen so ausführlich und prägnant erwähnt? 
Wenn man dann weiterliest spürt man aber sehr genau, dass dieses Wetter genau die Stimmung von Lars widerspiegelt. Eine Antriebslosigkeit, eine Kette von Gedankengängen, die ihn immer weg führt von dem, dem er sich eigentlich widmen sollte: seinen Problemen. Großen oder kleinen. Doch er hat mit den Jahren gelernt, nicht hinzusehen, auf diese Probleme - und macht sehr deutlich, wie anstrengend es sein kann, immer wegzuschauen. 

Also sieht man besser nicht hin.
Und die Welt denkt dann vielleicht, man sei faul, dabei ist man den ganzen Tag schwer damit beschäftigt, nicht hinzusehen. Und das wissen die wenigsten, wie anstrengend es ist, nicht hinzusehen, wie viel Kraft es kostet, den Fuß nach jedem Schritt am Hosenbein abzustreifen und trotzdem nicht zu putzen.
Zitat Seite 52

Jedenfalls ist Silvester und hat einige Dinge auf seiner to-do Liste und sieht keine Möglichkeit, wie er diese bis Mitternacht erledigen soll! Die Kapitel sind in die Punkte dieser Liste unterteilt und ich war fasziniert, wie der Aufbau eines Bettes für seine Tochter oder das Putzen solch philosophische und in Zusammenhang b ringende Gedanken hervorrufen kann, die Nele Pollatschek mit einigem Witz aber auch tragischen Blick auf die Menschen formuliert. 
Dabei fließen sehr kuriose Wörter und Wortverbindungen mit ein, die erfrischend anders sind und die Sprunghaftigkeit von Lars´ Gedankenwelt gut unterstreichen. Und zeigen auch wie die Autorin wunderbar mit den Worten jonglieren kann und wie die Bedeutungen wechseln, je nachdem in welchem Zusammenhang man sie sieht bzw. liest.
Dabei zeigt sie ohne Scheu und offen die Gedanken von Lars, die wir oftmals sicher schon selbst gehabt haben.
Der Stil ist vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber ich hab mich schnell in die Gedankenwelt von Lars einfinden können, der ein ständiges Scheitern hinter sich hat und sich beständig die Frage stellt, wozu er noch Motivation aufbringen soll. All seine Erwartungen sind unerfüllt, gefühlt hat er nichts zuwege gebracht und die Gedanken, dem Leben ein Ende zu setzen, grummeln im Hintergrund. 

Das Gefühl, im Alltag "einfach" funktionieren zu müssen und allen Anforderungen gerecht zu werden lasten so schwer auf seinen Schultern, dass alleine das Aufstehen ein unglaublicher Kraftakt ist. 
Gerade auch so Momente, in dem das Alleinsein nicht mehr ertragen wird und auf welche Mittel er (und auch wir) zurückgreifen, um uns nicht einsam zu fühlen, ist besonders berührend.

Diese to-do Liste abzuhaken hat allerdings eine ganz besondere Wirkung auf ihn. Bei jedem Punkt geht die Autorin auf philosophische Wahrheiten des Lebens ein, die aus verschiedenen Blickwinkeln plötzlich ganz andere Perspektiven eröffnen und somit keine "absolute" Wahrheit mehr zulassen können. 
Mich haben viele Passagen tief berührt und ich konnte so gut mit Lars mitfühlen, mit seiner Verzweiflung, seiner Angst, seiner Hoffnungslosigkeit - aber auch seiner Überwindung und die Freude, wie er mit kleinen Schritten seine Welt für sich zurückerobert. 


Meine Bewertung
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17 Kommentare:

  1. Huhu Aleshanee :D

    Von dem Buch habe ich echt schone eine Menge gehört, irgendwie passt es ja auch perfekt in unsere Zeit, in der jeder so viel leisten muss und gleichzeitig der schnöde Alltag doch oft zu Depressionen und einem Gefühl des "Gefangen seins" führt.

    Toll, dass dieses Buch für dich so ein Highlight war. Ich finde ja auch oft, dass Probleme helfen, sich näher mit dem großen Ganzen zu beschäftigen und dann halt zu schauen, was verändert werden muss, um eine Verbesserung zu erhalten. Man kann halt auch selbst so viel tun!

    Wenn mir das Buch mal begegnet, werde ich es auf jeden Fall auch lesen!

    Liebe Grüße und noch einen schönen Sonntag!

    Jessi

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    1. Mir ist es tatsächlich nur zufällig aufgefallen durch das Cover. Und eigentlich passt es gar nicht zu dem was ich sonst lese, aber da hat mein Bauchgefühl mal wieder richtig entschieden :)

      Man kann selbst viel tun, aber manchmal drücken einen die Probleme halt soweit nach unten, das man kein Licht mehr sieht ... sich dann aufzuraffen ist wirklich ein Kraftakt und das hat die Autorin hier wirklich mit so viel Feingefühl gemacht und alles so geschickt ineinander verwoben, ich war wirklich begeistert!

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  2. Hallo Aleshanee,

    das Cover sprach mich beispielsweise gar nicht an und ich bin erst durch die eine oder andere positive Stimme zum Buch neugierig geworden. Deine schließt sich da ja direkt an.

    Am Samstag hatte ich das Buch in der Buchhandlung sogar schon in der Hand und habe kurz reingeschnuppert. Es macht einen guten Eindruck und landet vielleicht auf meinem Geburtstagswunschzettel oder ich werde ein Auge in Antiquariaten und im Sommer evtl. bei der Bücherbörse offen halten.

    Liebe Grüße,
    Sandra

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    1. Haha, ja, das Cover ist so hässlich, dass es irgendwie wieder cool ist :D

      Den Anfang fand ich schon sehr merkwürdig, aber im Verlauf versteht man dann ganz gut, warum, und ich war wirklich begeistert. Aber ich kann auch verstehen, wenn manche damit nicht so klargekommen sind... ich hoffe, es fällt dir in die Hände :)

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  3. Liebe Aleshanee,

    mich freut total, dass dich das Buch so begeistert hat. Ich glaube, gelesen hat es noch mal eine ganzandere Wirkung. Der besondere Aufbau ist im Hörbuch nciht so rübergekommen, auch cniht die Wortneuschöpfungen. Mitfühlen konnte ich schon mit Lars und auch - bis zu einem gewissen Maß - sein Frust. Ich bin ja beim Hörbuch darüber gestolpert, dass die Autorin das Buch selber einliest - und eine weibliche Stimme bei einem männlichen Ich-Erzähler, das habe ich im Kopf einfach nciht zusammenbekommen.

    Liebe Grüße
    Sabine

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    1. Es war definitiv etwas ganz besonderes für mich, da ich mich hier auch an einigen Stellen wieder gefunden habe.
      Eine Frau als Leserin bei einem Mann ist bestimmt komisch, grade wenn es nur um ihn geht und keine anderen Charaktere mitspielen. Als Hörbuch kann ich mir das auch gar nicht vorstellen...
      Für mich war es wirklich sehr berührend <3

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  4. Hallo Aleshanee,
    schön, dass du so begeistert warst. 😊 Ich habe das Buch auch auf dem Schirm, weil ich von Nele Pollatschek "Das Unglück anderer Leute" schon so gut fand. Den Stil fand ich in diesem Buch schon besonders, von daher weiß ich wohl, worauf ich mich einlasse. :)
    Liebe Grüße
    Marie

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    1. Das war mein erstes Buch von ihr :) Das andere hab ich mir schon notiert!

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  5. Hallo Alex,
    ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob mich das Cover jetzt wirklich neugierig gemacht hätte. Ich bin eher dadurch aufmerksam geworden, dass du uns das Buch gezeigt und ein bisschen was dazu erzählt hast. ;) Vermutlich hätte ich es mir sonst gar nicht unbedingt angeschaut. Deswegen war ich nun aber dann doch auch neugierig auf deine Rezi.
    Ich glaube, es könnte ein buch sein, dass mich sehr nachdenklich stimmen würde. Man kennt es ja doch irgendwie selbst auch, dass man Ziele und Pläne hat, Dinge, die man erledigen wollte, die man vielleicht auch ändern wollte usw. Nun ist es nicht so, dass ich in der letzten Woche des Jahres in Aktionismus verfalle, aber man denkt eben hin und wieder schon darüber nach, was man von seinen Zielen so erreicht hat – dafür muss nicht Silvester sein, das passiert auch zwischendurch. Dementsprechend schätze ich, ich könnte mich in gewisser Weise an manchen Stellen auch in den Protagonisten reinversetzen, der unzufrieden ist, sich aber im Nicht-hinsehen-übt, um es sich nicht bewusst zu machen. Sich einzugestehen, was vielleicht nicht so optimal ist, ist ja auch nicht unbedingt die Lieblingsbeschäftigung von uns.
    Dass es vom Stil vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig oder ungewohnt ist, empfinde ich erst mal sogar als passend für diese Art von Buch und Erzählweise, wie man es dann beim Lesen empfinden würde, wäre natürlich noch mal eine andere Sache. Aber ich bin geneigt, es auszuprobieren und mir das Buch irgendwann noch mal genauer anzuschauen. Danke für deine detaillierten Eindrücke!
    Liebe Grüße,
    Dana

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    1. Ja, das Cover... ^^ Wir versuchen ja, aus dem ganzen Wust an Büchern, Empfehlungen und Neuerscheinungen irgendwie auszuloten, welche davon für uns passen könnten - und ich scheine da einfach sehr aufs Cover fixiert zu sein. Und gerade dadurch finde ich oft solche Perlen - natürlich vor allem auch in den Genren die ich favorisiere, aber eben auch grade solche Ausnahmefälle für mich.
      Ich weiß immer noch nicht, wie das Buch mit dem Inhalt zusammenhängt *lach* Aber ich bin froh dass es mich neugierig gemacht hat!

      Ich denke, dass wir alle ab und an alltagsmüde sind und Erledigungen vor uns herschieben - bei dem Protagonisten hier geht es ja doch noch um einiges weiter. Er ist "des Lebens müde" und frustriert - das spürt man, aber nicht so arg dass es jetzt deprimiert, gerade weil die Autorin das so unterschwellig mit einbaut und gleichzeitig aber ablenkt, mit all den Gedanken und auch witzigen Momenten - und natürlich dem vorwärtskommen durch diese to-do Liste.

      Ich bin gespannt ob du es lesen wirst und was du dann dazu sagst!

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    2. Das Cover ist oft eben der erste Eindruck, den wir bekommen, wenn uns jetzt nicht irgendwer von einem Buch erzählt und man es parallel nicht sieht ;)
      Irgendwo nach muss man ja auch entscheiden, was man sich näher anschaut und was nicht, dass das Cover einen da anfixt, ist also jetzt nicht unverständlich. Und wenn es auch immer wieder dazu führt, dass man dann auf so Perlen aufmerksam wird, umso besser ;)

      du hast mich auf jeden Fall sehr neugierig gemacht. Auch wenn das Cover vielleicht nicht so viel mit dem Inhalt zu tun hat :D oder es zumindest nicht so direkt greifbar ist ;)

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    3. Mhmmm... eigentlich dachte ich, ich hätte hier noch mal drauf geantwortet... vielleicht wurde mein Kommentar geschluckt oder ich habe nur davon geträumt :D

      Irgendwo nach muss man ja auch sortieren und entscheiden, welche Bücher man sich näher anschaut und welche nicht. Wenn da das Cover für dich ein guter Kompass ist, ist das ja super. Es ist ja eben auch das erste, was man sieht, daher ist es eben auch etwas, wo man drauf aufmerksam werden kann - oder eben nicht. Und wenn du dann manchmal da so kleine Perlen bei findest, ist es doch super :)

      Du hast mich auf jeden Fall sehr neugierig gemacht auf das Buch durch deine Worte dazu - mehr als das Cover ;)

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    4. Der Kommentar war auch schon da! Aber blogger packt die manchmal plötzlich in den Spam, auch schon ältere, warum auch immer ...

      Ja, ich bleibe da eben sehr oft durch das Cover hängen. Andere sagen, das Cover ist egal und sie schauen auf den Klappentext - aber wie wählen sie aus welche Klappentexte sie lesen? :D Naja egal, ich hab gemerkt, dass mich bestimmte Cover anziehen und dass ich da sehr oft wirklich Glück habe und das richtige erwische :)

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  6. Liebe Aleshanee

    Das Buch ist auch noch auf meiner Wunschliste und ich werde es mir vielleicht zu Weihnachten wünschen und dann in der Zeit zwischen den Jahren lesen (ja, ich weiss, ich plane schon weit) oder halt einfach einmal in einer kleinen Durststrecke während des Jahres kaufen.

    Deine Rezenion macht gleich noch neugieriger und meine Vorfreude steigt.

    Alles Liebe
    Livia

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    1. Ach naja, wenn es grade solche speziellen Bücher sind, die an Weihnachten, Silvester oder eben zu bestimmten Zeiten spielen, die merke ich mir dann auch schon gerne mal frühzeitig vor ... das kann ich gut verstehen :)
      Ich hoffe, dass es dich ebenso begeistern bzw. berühren kann <3

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  7. Hallo liebe Aleshanee,

    ich bin um dieses Buch so lange herumgeschlichen und habe es vor ein paar Tagen endlich gelesen. Du hast ja schon gesehen, dass es mich positiv überrascht hat. :)
    Du beschreibst die Handlung in deiner Rezesnion sehr gut und der Autorin ist die Umsetzung der Themen wirklich gelungen.
    Ja, man muss sich auf den außergewöhnlichen Stil einlassen, aber mir hat es bis auf Mini-Kleinigkeiten sehr gefallen.

    Liebe Grüße
    Nicole

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    1. Ich mag es ja gerne, wenn mal etwas ganz anders geschrieben ist, als "normal" und natürlich muss es passen. Es gibt auch Bücher da bin ich mit so einem Versuch gescheitert und konnte mich nicht reinfinden, aber hier hat es super geklappt! Ich fand es wirklich außergewöhnlich gut gemacht :)

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