Samstag, 7. September 2024

Die vierte Wand von Maja Ilisch

Eine Welt voller Puppenhäuser

Seit sie zurückdenken kann – und sie kann sich, findet Fox, schon ziemlich lang erinnern – lebt Fox mit ihrer Familie in diesem Haus, und jeder Tag ist wie der andere. Bis plötzlich ein seltsames Päckchen im Flur liegt, adressiert an Fox, mit einem Brief ohne Absender und einem Buch. Doch dieses Buch ist anders als jedes, das Fox kennt. In ihm stehen Wörter. Das Buch gibt ihr neue Bilder in den Kopf, neue Gedanken, neue Fragen. Kurzentschlossen klettert Fox aus dem Fenster hinaus in die unbekannte Welt – und findet sich neben ihrem Puppenhaus wieder, in einem Haus, das beinah so ist wie ihr eigenes …

Ein wunderbar philosophisches Kinderbuch über das Geschichtenerzählen, die Wirklichkeit, und die Frage, was jenseits des Sichtbaren liegt.



Die vierte Wand von Maja Ilisch


Philosophisches Kinderbuch, empfohlen ab 10 Jahren

Verlag Oetinger / Dressler -- Seitenzahl 240 -- 1. Auflage August 2024



Meine Meinung
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Ein "philosophisches Kinderbuch", diese Beschreibung hat mich sofort magisch angezogen, aber auch der Klappentext im Bezug auf das Puppenhaus und die vielen Türen auf dem Cover, die schon zeigen, dass der Weg von Fox einiges für sie bereit halten wird. 

Fox ist 11 Jahre. So alt ist sie, seit sie denken kann, also schon immer. Ebenso wie ihre Schwester Pony immer mit Puppen spielt und das Baby immer in der Wiege liegt. Die Eltern sind im Haus beschäftigt, der Lehrer hat ein Studierzimmer im Haus und der Koch ist in der Küche beschäftigt. So verläuft jeder Tag gleich, bis plötzlich ein Päckchen für Fox vor der Tür liegt und sie auf völlig neue Gedanken bringt. 

Ich fand die Idee ziemlich cool. Vor allem hat es mich tatsächlich an mein eigenes Puppenhaus aus meiner Kindheit. Die ganzen Beschreibungen wie die Zimmer angeordnet sind, wie die Menschen / Puppen darin aussehen, vor allem die Tafel des Lehrers, auf dem immer die gleichen Bilder zu sehen sind, da kamen einige Erinnerungen hoch. 

Die Reise von Fox ist eine Reise durch viele Welten, durch ihre eigene Welt, aber auch zu sich selbst. Anfangs fand ich das total skurril und spannend, sie zu begleiten und zu entdecken, auf welche Geheimnisse sie stößt, aber nach dem ersten Drittel war für mich ein bisschen die Luft raus. Dann ergeben sich aber plötzlich neue Umstände und es zieht wieder etwas an.
So ganz schlau geworden bin ich leider nicht aus den ganzen Szenarien, die sich für Fox öffnen - dafür war das Ende wieder sehr interessant. Manche "philosophischen" Gedanken hinter dieser Geschichte hab ich aber wohl einfach nicht durchblickt, dafür gab es aber auch einige tolle Passagen, die mit bewegenden Zitaten gespickt waren.

"Und es ist traurig, einsam zu sein, wenn eigentlich noch andere Leute da sind. Schlimmer, als wenn ich allein im Haus wäre." Pos 1137

Ich denke, das ist genau der Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit. Denn Alleinsein an sich ist nicht schlimm - das braucht man manchmal einfach auch, um sich selbst mal zwischendurch mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Aber sich einsam zu fühlen, obwohl man mit anderen zusammen ist, fühlt sich sehr hart an.

"... Wo ich vorher war? Vielleicht war ich ein Gedanke, eine Idee, der Moment, in dem eine Geschichte wird - aber las ich da in der Halle stand, da war ich. Und war ich. Was soll mir daran nicht genügen? Pos 1448

Sich selbst zu genügen wie man ist, ist ein ganz tolles Gefühl. Natürlich darf man Ziele haben und das Leben besteht aus Veränderung. Aber wir leben in der Gegenwart und die sollte man so annehmen wie sie ist, auch sich selbst. 

Und weil Wut ein besseres Gefühl war als Angst, wurde Fox wütend. 
Pos 1677

Ja, ich denke, das kennt jeder. Angst ist ein ganz schreckliches Gefühl voller Hilflosigkeit, während Wut uns darüber hinweg täuscht und wir darüber oft den Mut (oder die Verzweiflung) finden zu handeln. Das sollte man sich auch oft in Erinnerung rufen, wenn man wütende Menschen erlebt, weil sie im Grunde nur Angst haben und sich nicht mehr anders auszudrücken wissen. Was natürlich keine Entschuldigung für verletzendes Verhalten ist, aber immerhin kann man es dann zumindest besser verstehen, wenn auch nicht immer akzeptieren.

Schön fand ich auch, wie am Ende das Erkennen kommt, dass man Menschen so mag wie sie sind und selbst wenn sie sich plötzlich so formen oder ändern ließen, dass sie scheinbar "perfekt" wären, ist es genau das, was uns abschreckt. Es gibt keine perfekten Menschen, denn jeder hat seine Ecken und Kanten, seine eigene Geschichte, aus der er sich entwickelt und jeden Tag weiterentwickelt. In welche Richtung, das können wir jeden Moment selber entscheiden.

Insgesamt war es wirklich eine interessante Geschichte mit einer witzigen Auflösung und einem runden Ende. Zwischendurch wurde es für mich etwas langwierig, aber insgesamt war es sehr ungewöhnlich und erfrischend anders, was ich ja immer gerne mag!

Abschließend möchte ich euch noch dieses schöne Zitat zeigen:

"Geschichten entspringen vielleicht irgendeinem versponnenen Verstand, aber das macht sie nicht weniger wirklich. Sie bringen die Menschen zum Lachen und zum Weinen und zum Fühlen und zum Denken, sie nehmen die Wirklichkeit und kochen sie ein, bis sie dick ist und sirupartig und ein Tropfen davon die ganze Welt enthält."
Pos 2409

Meine Bewertung
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Vielen Dank an netgalley und den Verlag für das Rezensionsexemplar.
 Es gab diesbezüglich keinerlei Vorgaben und die Rezension 
spiegelt meine ganz persönliche Meinung wider.

6 Kommentare:

  1. Hallo liebe Aleshanee,
    ich war ja schon sehr gespannt auf deine Rezension zu diesem Buch. Besonders gefallen hat mir, dass es hier scheinbar einige sehr weise Textstellen gibt, die man mal auf sich wirken lassen sollte.

    Ich denke, dass das Gefühl von Einsamkeit unter anderen Menschen gerade deswegen so beängstigend wird, hängt mit der Machtlosigkeit zusammen, die damit einhergeht. Fühlt man sich einsam, obwohl man unter Menschen ist, fragt man sich warum. Man hat das Gefühl schon alles Mögliche unternommen zu haben, um das unangenehme Gefühl zu beseitigen. Dabei handelt es sich einfach um eine falsche Gefühlszuordnung. Fühlt man sich unter Menschen einsam, dann hängt es nicht mit der Masse an Personen zusammen, sondern mit ganz anderen Faktoren.

    Auch stimme ich dir zu, dass Angst ein sehr unschönes Gefühl ist, eben weil es mit Hilflosigkeit in Verbindung gebracht werden kann.

    Sehr schöne Zitate und eine sehr interessante Buchvorstellung von dir.

    Ganz liebe Grüße
    Tanja :o)

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    1. Es gibt wirklich ein paar schöne Stellen, wobei ich mir da noch ein paar mehr erhofft hatte... ich glaube, manches hab ich einfach nicht so verstanden, das würde mir vielleicht bei einem nochmaligen Lesen noch besser auffallen.

      Diese Einsamkeit unter Leuten hängt mit sehr vielem zusammen - zumindest kann ich das so aus eigener Erfahrung sagen. Das schlimme daran ist für mich, dass die meisten anderen es gar nicht merken und man keine Bindung spürt mit anderen, bzw. im Umkehrschluss fühlt man sich ausgeschlossen und ja, machtlos, etwas daran zu ändern. Und eben auch hilflos. Alles keine sehr schönen Gefühle, gegen die es viel Arbeit bedeutet, etwas dagegen zu tun.

      Wut dagegen ist ja ein aktives Gefühl, dass einen schonmal aus solchen Situationen herausholen kann, man springt über seinen Schatten und sagt oder tut Dinge, die man sonst nicht gemacht hätte. Das kann ein guter Auslöser sein - aber natürlich auch nach hinten losgehen. Wie immer macht es hier die Dosis.

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    2. Ich könnte mir, anhand deiner Worte, auch gut vorstellen, dass man beim zweiten Lesen noch einiges mehr zwischen den Zeilen entdecken würde. Das macht das Buch irgendwie interessant.

      Ich denke auch, dass sich sehr viele Menschen in Wirklichkeit einsam fühlen. Und gerade die Tatsache, dass sie eigentlich immer von anderen Menschen umgeben sind, lässt natürlich den Trugschluss zu. Und ja, ich gebe dir Recht: Es sind keine schönen Gefühle und es ist auch nicht einfach aus diesem Schema auszubrechen. Zwangsläufig muss sich etwas ändern und zwangsläufig stößt man dann ggf. auch anderen Menschen vor den Kopf. Vor allen Dingen muss man erstmal herausfinden, was genau sich ändern muss, damit es besser wird und überhaupt auch aufgeschlossen sein für Veränderungen ...

      Auch das, was du über Wut schreibst, ist sehr weise. Ich denke, Wut ist im Endeffekt auch nicht viel mehr, als das Gefühl von Machtlosigkeit.

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    3. Ich denke sogar, Wut ist eins der treffendsten Ausdrucksweisen von Macht- bzw. Hilflosigkeit. Wenn jemand aggressiv ist, macht er mir natürlich schon Angst - gleichzeitig hab ich immer im Hinterkopf, dass dieser Mensch tief verzweifelt sein muss, um so wütend zu werden und keinen anderen Ausweg als diese Option sieht, um zu handeln oder irgendwie zu reagieren.
      Wut kann einen dazu bringen, endlich die Gefühle zum Ausdruck zu bringen, die man lange unterdrückt, was ja durchaus positiv ist.
      Aber eben auch zu Taten hinreißen lassen, die man nicht mehr akzeptieren kann.

      Der Mensch ist ein sehr interessantes Thema :)

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  2. Hallo liebe Aleshanee,

    das klingt nach einem sehr außergewöhnlichen, aber unheimlich interessanten Kinderbuch. Die Inhaltsangabe und auch deine Rezension haben sehr neugierig gemacht. Es kommt auf die Merkliste.
    Das letzte Zitat ist wirklich schön. :)

    Liebe Grüße
    Nicole

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