Dienstag, 2. November 2021

Eine kurze Geschichte der Menschheit von Yuval Noah Harari

 


Eine kurze Geschichte der Menschheit von Yuval Noah Harari

 
Genre Anthropologie / Menschheitsgeschichte
Im Original A Brief History of Mankind - Kizur Toldot Ha-Enoshut
übersetzt von Jürgen Neubauer
 
Verlag Pantheon --- Seitenzahl 525
1. Auflage Januar 2011
 




Klappentext
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Vor 100 000 Jahren war der Homo sapiens noch ein unbedeutendes Tier, das unauffällig in einem abgelegenen Winkel des afrikanischen Kontinents lebte. Unsere Vorfahren teilten sich den Planeten mit mindestens fünf weiteren menschlichen Spezies, und die Rolle, die sie im Ökosystem spielten, war nicht größer als die von Gorillas, Libellen oder Quallen. Vor 70 000 Jahren dann vollzog sich ein mysteriöser und rascher Wandel mit dem Homo sapiens, und es war vor allem die Beschaffenheit seines Gehirns, die ihn zum Herren des Planeten und zum Schrecken des Ökosystems werden ließ. Bis heute hat sich diese Vorherrschaft stetig zugespitzt: Der Mensch hat die Fähigkeit zu schöpferischem und zu zerstörerischem Handeln wie kein anderes Lebewesen.

Anschaulich, unterhaltsam und stellenweise hochkomisch zeichnet Yuval Harari die Geschichte des Menschen nach und zeigt alle großen, aber auch alle ambivalenten Momente unserer Menschwerdung.
 
 
Meine Meinung
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Auf das Buch war ich wirklich sehr gespannt, weil ich ein großer Fan von "Ismael" des Autors Daniel Quinn bin. Mir wurde gesagt, dass Yuval Harari hier in ähnlicher Weise unsere Menschheitsgeschichte beleuchtet und ja, beide Autoren gehen auf die Entwicklungen unserer Zivilisation und Kulturen ein - dennoch kann man die Bücher nicht miteinander vergleichen.
Hier haben wir eher eine wissenschaftliche Basis, während in "Ismael" eher philosophisch diskutiert wird.
 
Yuval Harari beginnt bei den Wurzeln der Menschheit vor 2,5 Millionen Jahren. Eine Zeit, die man sich eigentlich kaum vorstellen kann und ich traue dieses Berechnungen auch nie so wirklich, aber lassen wir das einfach mal hintangestellt. 
Interessant fand ich im Verlauf der Entwicklung unserer Spezies jedenfalls die Sprache, etwas, das uns ja von den anderen Tieren am meisten unterscheidet; zumindest durch unsere Vielfalt und vor allem, dass wir uns Dinge vorstellen und in Worte fassen können, die es real gar nicht gibt.
Das weiß man, aber es war mir ehrlich gesagt bisher nie so recht bewusst in diesem Zusammenhang. Das ist ein Punkt, der vieles, was geschehen ist, nachhaltig beeinflusst hat: unsere Vorstellungskraft und diese in Worte und Taten umzusetzen.
 
Während der erste Abschnitt tatsächlich so gut wie überflüssig war, da er an sich nur aus Mutmaßungen besteht (wie der Autor auch selbst sagt), war es doch sehr faszinierend, wie dieser Gedanken der Sprache vom Autor weitergesponnen wird. Das Zusammenleben von Gruppen ist uns in Fleisch und Blut übergegangen und war immer Grundbestandteil für das Überleben. Allerdings waren diese Gruppen zahlenmäßig begrenzt und haben dadurch perfekt funktioniert: Ohne "Oberhaupt".
Bei größeren Gruppen wird das kritisch, was auch sehr einleuchtend erklärt wird und deutlich macht, warum es immer einen "Chef", einen "König", eine "Regierung" braucht, um diese Massen an Menschen "im Zaum zu halten". 

Unsere Gesellschaft lebt einen Mythos, bzw. leben wir schon seit Jahrtausenden in vielen Mythen und Geschichten, die wir uns selbst erzählen. Eigentlich alles, was man nicht sehen/anfassen kann, entspringt unserer Vorstellungskraft. Seien es Institutionen wie Autohersteller, Religionen, Menschenrechte, Kriege, Geld - diese Namen funktionieren nur, weil eine Großteil der Menschen damit aufwächst, damit konfroniert wird und daran "glaubt". 
Diesen Ansatz fand ich echt interessant und werde mich damit bestimmt noch öfter auseinandersetzen. 

Natürlich ging der Autor auch auf die Landwirtschaft und Domestizierung von Tieren ein. Er vertritt hier eine sehr strikte und durchaus nachvollziehbare Meinung, aus der ich vor allem für mich herausziehe, dass wir Menschen anscheinend tatsächlich der schlimmste Virus sind, der die Erde je befallen hat. Wenn man sich anschaut, wie viele Arten durch uns ausgemerzt wurden und vor allem auch, wie wir heute noch immer mit den Tieren umgehen aus reiner Gleichgültigkeit, lässt die Bewegung der Veganer und Vegetarier doch noch hoffen, dass sich in Zukunft hier vielleicht etwas ändert.
 
Die Wildbeuter jagten wild lebende Tiere und sammelten wild wachsende Pflanzen, die dem Homo sapiens ebenbürtig waren. Sie jagten zwar Schafe, doch sie betrachteten die Schafe deshalb noch lange nicht als minderwertige Wesen, genauso wenig wie sie glaubten, dass sie selbst weniger wert waren als die Tiger, nur weil sie von diesen gejagt wurden.
...
Im Laufe der landwirtschaftlichen Revolution wurden die einst gleichberechtigten spirituellen Partner daher zu stummen Besitzgütern.
Zitat Seite 256

Lustiger - oder eher traurigerweise - hat unsere kollektive Illusion von Geld alle Menschen der Welt vereint. Zumindest auf der Handelsebene. Eine Idee, die alle Menschen vereint gleich welcher Sprache, Kultur, Glauben, Sozialverhalten etc., hat es eine Basis geschaffen, die auf die globale Handlungsebene zugesteuert hat. Scheint eine gute Sache zu sein, wobei dafür der Glaube an "unbezahlbare" Werte wie Ehre, Loyalität und Moral meiner Meinung nach gelitten hat. Mir fallen da sofort historische Bücher ein, in denen das Wort eines "Mannes" ohne jeglichen Beweises oder ähnliches gegolten hat.

Dass die Schrift zu Verwaltungszwecken erfunden wurde war mir auch nicht so wirklich bewusst. Das Berechnen von Schulden vor allem an die "Staatskasse" hat hier wohl den Ausschlag gegeben, das ganze schriftlich festhalten zu müssen. Die Bürokratie hat Einzug gehalten ^^

Das Wachstum lässt sich nicht aufhalten und zeigt sich natürlich sehr deutlich an der Überbevölkerung und dem Verbrauch/Konsum.

Im Jahr 1500 verbrauchte die Menschheit pro Tag 13 Billionen Kalorien Energie. Heute verbrauchen wir pro Tag 1500 Billionen Kalorien. (Lassen Sie diese  Zahlen einmal auf sich wirken: 14 mal so viele Menschen produzieren 240 mal so viel und verbrauchen dabei 115 mal so viel Energie)
Zitat Seite 301

Das lass ich jetzt einfach mal so stehen.

In der wissenschaftlichen Revolution war wohl das Eingeständnis der Unwissenheit ein Knackpunkt. Was zuvor meist als wahr angenommen wurde wurde jetzt bezweifelt. Nichts war sicher, denn jede neue Entdeckung oder Erforschung konnte vorherige Theorien komplett über den Haufen werfen. Ein Punkt, den ich für sehr wichtig erachte, da ihn viele aus den Augen verlieren, grade in der heutigen Zeit und den Ereignissen, die uns zurzeit beschäftigen:

Die moderne Wissenschaft ist bereit zuzugeben, dass sie nicht alles weiß. Mehr noch, sie geht davon aus, dass alles, was wir zu wissen glauben, durch neue Erkenntnisse widerlegt werden kann. Es gibt keine Vorstellung und keine Theorie, die nicht hinterfragt werden kann.
Zitat Seite 306

Ja, mit Zitaten könnte ich hier wirklich unendlich weitermachen. Ich hab mir soviel markiert in diesem Buch, aber das würde jetzt doch den Rahmen sprengen...
 
Das Kapitel über den Kapitalismus fand ich teilweise interessant, teilweise verliert sich der Autor hier aber viel in Zahlen und Daten. Grade auch was Eroberungszüge anbelangt und die Verwicklungen der verschiedenen Länder - das erinnert mich zu sehr an Unterricht und ist nicht so meins. Interessanter fand ich die Abschnitte, in dem Yuval Harari seine Folgerungen daraus zieht.

Wie oben schon erwähnt leben wir in einem Zeitalter des Wachstums. Das Wirtschaftswachstum wird ja gerühmt, aber ich frage mich immer: wo soll das hinwachsen? Wieso müssen so viele "Dinge" produziert werden, die wir gar nicht brauchen - warum werden wir auf Konsumenten reduziert, die die "alten Werte" der Sparsamkeit und Bescheidenheit aberzogen bekommen, ja, die sogar belächelt werden und als veraltet betrachtet werden? Und wie sollen die Menschen das Geld dafür auftreiben, wenn die Lebenskosten an sich ja schon viel zu hoch sind?
Diese ganzen Entwicklungen gingen leider auch auf Kosten der Familiengemeinschaften. Das ganze Vertrauen, dass bei Krankheit, Alter oder sonstigen Problemen die Familie oder (Dorf)Gemeinschaft ausgeholfen hat, ist völlig abhanden gekommen. Was nicht heißt, dass das es in dem Bezug früher nie Probleme gab, aber das geborgene Gefühl von Familien und Freunden scheint mir oft verloren zu sein.

Bei dem Argument über Kriege gehe ich nicht so konform, denn der Autor beschreibt unsere Zeit als relativ friedlich und vergleich sie mit früheren Auseinandersetzungen. Ob man jetzt da die Anzahl der Toten vergleichen muss weiß ich nicht so recht... ich hab das Gefühl, dass immer irgendwo Krieg ist und die Zahlen von vor Jahrhunderten sind für mich reine Schätzungen, die man hier einfach nicht zu einem Vergleich heranziehen kann. 
Vor allem erwähnt er hier nicht die Waffenindustrie, die horrende Summen verdient. 

Am Ende gibt es noch einen Aspekt, der gerade bei wissenschaftlichen Fakten über die Entwicklung der Menschheit oft fehlt: Waren die Menschen früher glücklicher? Oder sind sie es heute mit all ihren technischen Errungenschaften? Und was ist Glück überhaupt? 
Diesen Abschnitt fand ich wieder sehr spannend - weil er zum einen auf methodische Berechnungen basiert, aber auch auf philosophischen Gedanken. 

Übrigens waren auch einige Bespiele über Forschungen dabei, wo ich nur den Kopf schütteln kann. Ich hab die jetzt nicht mehr alle parat, aber eins ist mir haften geblieben: Es galt herauszufinden, ob Kühe psychisch belastet werden (im Hinblick auf ihre Milchproduktion) wenn ihnen das frisch geborene Kalb weggenommen wird. 
Dafür braucht man eine Studie? Ernsthaft? Ein logisches und empathisches Denken und Empfinden reicht hier eigentlich aus - wie bei so vielen anderen Fragen. Aber man merkt bei vielen Menschen leider, dass dieses Einfühlungsvermögen abgestumpft und Gleichgültigkeit gewichen ist.

Ganz zum Schluss hat der Autor noch einige Gedankenspiele zu zukünftigen Entwicklungen gemacht, grade was Bio- und Gentechnik anbelangt. Unsere Generation wird das zwar nicht mehr erleben, aber vielleicht unsere Enkel und Urenkel. Neugierig bin ich ja schon, ob und wie wir Menschen uns weiterentwickeln werden: ob wir zurückfallen, wie Einstein es vorausgesagt hat oder ob irgendwann die Maschinen unsere Illusion von Herrschaft übernehmen.


Meine Bewertung
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9 Kommentare:

  1. Huch, was ist das denn für ein Buch? Von solchen Bücher liest man aber selten auf Deinem Blog :) Klingt ein wenig wie eine kollektive Anklageschrift gegen die Menschheit. Hat der Autor auch mal erwähnt, was die Menschheit alles an Schönem erschaffen hat?

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    1. Ja, selten, aber dennoch interessiert mich sowas schon sehr :)
      Ich erwähne ja immer wieder gerne "Ismael" von Daniel Quinn, was in eine ähnliche Richtung geht, auch wenn es völlig anders ist.

      Der Autor hat hier keine "Anklageschrift" verfasst *lach* Auch wenn es sich vielleicht so anhört, es ist ja immer auch das, was man sich als Leser da rauspickt ^^
      Jedenfalls fand ich es durchaus interessant und vieles hat (wieder mal) zum nachdenken angeregt.

      Was die Menschheit an Schönem erschaffen hat - da muss ich jetzt direkt mal drüber nachdenken, weil mir da spontan tatsächlich nix einfällt ^^

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    2. Dir fällt nichts ein, was die Menschen an Schönem erschaffen hat? Ich mein, die Künste stechen da doch hervor - Bilder, Musik, Bücher. Aber auch gesellschaftlich gibt es Gemeinschaften, in denen jeder zueinander und nicht gegeneinander steht. Innerhalb solcher Gruppen erfährst Du auch immer wieder Schönes - sei es in einem Klassenverband, in einer Arbeitsgruppe oder in irgendeinem Verein. Ich könnte Dir jetzt noch viele Dinge nennen, die für die Menschheit spricht - ich weiß nur nicht, ob das alles hier ins Kommentarfeld passt :D

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    3. Ich bin da immer im ersten Moment eher negativ eingestellt ;) Aber natürlich die Künste sind etwas großartiges und Menschen können zusammen wunderbare Dinge schaffen. Aber ich seh einfach zu oft das negative und nehme das Schöne dann leider kaum mehr wahr. Da muss mich dann jemand immer wieder dran erinnern :)

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    4. Das hab ich gern gemacht 🤓

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  2. Huhu,

    dieses Buch taucht bei mir immer mal wieder auf. Sei es wie heute hier durch dich oder in der Buchhandlung. Ab und an stolpere ich wieder darüber. Und es interessiert mich tatsächlich auch, daher fand ich deinen Beitrag dazu auch sehr spannend.

    Ob ich es jemals lesen werde, weiß ich nicht. Irgendwie schreckt mich die Seitenzahl ab, aber auf ganz verrückte Weise: Zum einen denke ich mir "Oh je, über 500 Seiten Daten und Fakten über unsere Entwicklung, uff..." auf der anderen Seite "Oh je, die ganze Entwicklung der Menschheit auf nur 500 Seiten? Das muss ja sehr komprimiert sein." xD Ich sags dir, Teufelchen links streitet mit Teufelchen rechts.

    Liebe Grüße,
    Sandra

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    1. Es sind ja nicht nur Daten und Fakten ;) Manche Abschnitte waren da natürlich schon dabei, aber es ist gut zu lesen und regt halt auch zum Nachdenken an. Er hat das schon recht gut umrissen.

      Empfehlen kann ich dir, wenn dich sowas interessiert, auf jeden Fall "Ismael" von Daniel Quinn. Das Buch ist nicht so dick und ganz anders aufgebaut: ein Lehrer und ein Gorilla unterhalten sich über die Entwicklung der Menschheit - ein geniales Buch!
      Falls du in meine Rezi reinschauen magst:
      https://blog4aleshanee.blogspot.com/2019/01/ismael-daniel-quinn.html

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  3. Hallo liebe Aleshanee

    Das Buch ist mir auch schon einige Male begegnet und ich möchte es gerne irgendwann einmal lesen. Was du dazu schreibst, ist sehr spannend und vielleicht könnte da als optimistischere Lektüre "Im Grunde gut" helfen. Das Buch steht auch noch auf meiner Wunschliste und soll ebenfalls sehr gut sein.

    Alles Liebe an dich
    Livia

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    1. "Im Grunde gut" sagt mir nichts muss ich gestehen, muss ich mal googeln ;)
      Wobei der Titel ja schon viel sagt ... Im Grunde gut eingestimmt bin ich ja auch, mein Optimismus kämpft sich immer wieder an die Oberfläche. :D

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