Dienstag, 22. Dezember 2020

Leben ohne Angst: Wie man die Zeit anhält von Matt Haig

Rezension zu Wie man die Zeit anhält von Matt Haig

Wenn Liebe die Zeit besiegt

Keiner lehrt Geschichte so lebendig wie er ‒ und das hat einen guten Grund: Tom Hazard, Geschichtslehrer und verschrobener Einzelgänger, sieht aus wie 40, ist aber in Wirklichkeit über 400 Jahre alt. Er hat die Elisabethanische Ära in England, die Expeditionen von Captain Cook in der Südsee, die Literaten und Jazzmusiker der Roaring Twenties in Paris erlebt und alle acht Jahre eine neue Identität angenommen. Eines war er über die Jahrhunderte hinweg immer: einsam. Denn die Nähe zu anderen Menschen wäre höchst gefährlich gewesen. Jetzt aber tritt Camille in sein Leben. Und damit verändert sich alles.

 

 
 
Wenn man lange genug lebt, merkt man, dass jede erwiesene Tatsache irgendwann widerlegt und dann erneut bewiesen werden kann.
Zitat Seite 48
 

Meine Meinung
 =====================
 
Das hat sich für mich sehr nach Liebesgeschichte angehört, etwas, das ich ja nicht so gerne lese -  aber es ist von Matt Haig. Und ich schon einige Bücher von ihm gelesen habe und seine Einsichten auf die Menschen und die Gesellschaft schätze, war ich natürlich neugierig, was er hier mit diesem "Zeitreisenden" für eine Geschichte gestrickt hat. 
 
Tom Hazard reist zwar nicht beliebig durch die Zeit, trotzdem kann ihn als Zeitreisenden beschreiben, denn er lebt schon über 400 Jahre lang und reist somit durch die Epochen. Und er ist nicht der Einzige. Gleich zu Beginn erklärt er das ganze auch kurz als eine Art seltene Erkrankung, sozusagen das umgekehre Syndrom der Progerie (das sind Menschen, die schon im Kindesalter eine vorzeitige Alterung aufweisen).
 
Geboren wurde er im Jahr 1581 und hat recht bald erlebt, dass seine besondere Eigenschaft kein Segen, sondern ein Fluch ist. Während alle geliebten Menschen um ihn herum sterben müssen, lebt er weiter und erkennt den Kreislauf aus Frustration und immerwährender Wiederholungen. Das Gefühl, nicht dazu zu gehören, als Außenstehender alles nur wahrzunehmen und nie wirklich "dabei zu sein", reduziert seine Empfindungen auf eine Gleichgültigkeit, die ihn an den Rand der Verzweiflung bringt.
 
Ein Hoffnungsschimmer scheint die Albatros Gesellschaft zu sein, eine Gemeinschaft jener Menschen, die wie er über die Jahrhunderte hinweg leben und sich dabei im Verborgenen halten. Denn die Angst, entdeckt zu werden, als Hexer, Kuriosum oder Forschungsobjekt verdammt zu werden, ist in all diesen Menschen tief verwurzelt. 

Erzählt wird diese Geschichte aus der Ich-Perspektive von Tom, der zwischen der Gegenwart und einschneidenden Momenten aus der Vergangenheit wechselt. 
Im Heute ist er wieder in London, der Stadt, in der er seine große Liebe gefunden hatte und die er bis heute nicht vergessen kann. 
 
Sie lacht. Es ist die schlichteste, reinste Freude der Welt: jemanden, den man gernhat, zum Lachen zu bringen.
Zitat Seite 287

Ich habe den Lebensweg von Tom Hazard gerne verfolgt, den Matt Haig mit viel Gefühl und Details sehr lebendig schildert. Das letzte Drittel konnte mich dann leider nicht mehr so mitnehmen, obwohl ich gar nicht genau benennen kann, woran das lag. Und ich mochte auch den Konflikt gegen Ende nicht, der aus einem Missverständnis entsteht. Das ist ja öfter so bei Liebesgeschichten und wirkt auf mich meist zu konstruiert und platt. 

Dennoch ist ein wunderschönes Buch, das nahegeht und das grundlegende Thema der Angst thematisiert: die Angst vor Entscheidungen und der daraus resultierenden Verantwortung, die Angst zu Versagen, verletzt zu werden, etwas oder jemanden zu verlieren ...und wie man lernen sollte, dieser Angst zu trotzen.
Denn das Weglaufen oder sich davor zu verstecken mildert vielleicht diese Sorgen, hindert uns aber auch daran, zu leben und die Momente zu genießen, die uns wichtig sind. Wir können die Zukunft nicht voraussehen und die Vergangenheit nicht ändern: aber daraus lernen und vor allem: im Jetzt leben. 
Und deshalb lieber Entscheidungen treffen, die unser Gefühl für richtig hält, als irgendwann zurückzublicken und zu bemerken, so vieles durch dieses Angst versäumt zu haben. 

Im Buch gab es auch immer wieder Momente, in denen die Menschen die Zeit anhalten wollten, wichtige Augenblicke festhalten, die sie tief berührt haben und ich denke, das können wir sehr gut in unserer Erinnerung, die wir im Herzen tragen. Gerade diese schönen Erlebnisse sind es, die uns positiven Aufschwung geben, wenn wir mal in einer Krise feststecken und deshalb ist es so wichtig, diese bewusst zu erleben. 

Wunderschön erzählt mit vielen philosophischen Hintergedanken, manchmal etwas zu ausführlich für mich, empfehle ich das Buch auf jeden Fall weiter :)


 
Meine Bewertung
 =====================
 

 
 Ebenfalls rezensiert von

 
 
 

 

Wie man die Zeit anhält von Matt Haig

 
Roman mit Rückblenden in eine weitreichende Vergangenheit
Im Original How to stop time --- übersetzt von Sophie Zeitz
 
Verlag dtv --- Seitenzahl 384
1. Auflage April 2018


 
 
 
Ebenfalls gelesen von Matt Haig
 
Mach mal halblang - Rezension 
Ein Junge namens Weihnacht - Rezension
Ich und die Menschen - Rezension

10 Kommentare:

  1. Erinnert mich sehr an "Das Unsichtbare Leben der Addie LaRue" von V.E. Schwab. Auch da lebt die Protagonistin jahrhundertelang, allerdings aufgrund eines Faust'schen Kuhhandels. Unheimlich berührend erzählt.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das kenne ich nicht, hört sich aber gut an :)

      Löschen
    2. Erscheint nächsten März (oder Mai?)auf deutsch, habe die englische Ausgabe gelesen:)

      Löschen
    3. Ja, hab direkt nachgeschaut und es auf meine Wunschliste gesetzt :)

      Löschen
  2. Mir hat das Buch gut gefallen, obwohl mich Liebesgeschichten auch eher abschrecken, da bin ich immer dankbar, wenn sie nicht zu sehr im Vordergrund stehen ;)
    Addie LaRue ist klasse, das habe ich bereits im Original gelesen, wird dir sicherlich gefallen ;)
    Liebe Grüße und noch schöne Feiertage
    Mila


    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Gleich zwei Empfehlungen, da wird es wohl auf jeden Fall einziehen müssen :)

      Ich hab zwar von V. E. Schwab schonmal den ersten Band zu "Die Farben der Magie" gelesen, das mich nicht so ganz überzeugen konnte - aber ich probiere gerne nochwas anderes aus. Eine zweite Chance hat jeder verdient :D

      Löschen
  3. Auch wenn mir "Wie man die Zeit anhält" gut gefallen hat und ich es auch jedem empfehlen würde, kommt es nicht ganz an meinen Haig-Favoriten "Ich und die Menschen" heran. Ich hab übrigens die Hörversion von "Wie man die Zeit anhält" und Christoph Maria Herbst hat es fantastisch vertont!
    Liebe Grüße
    Gabi

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich und die Menschen ist schon wieder eine Weile her, aber ich hab auch in Erinnerung, dass es mir ein wenig besser gefallen hat. Trotzdem, wie du schon sagst, ein tolles Buch das ich auch gerne weiter empfehle :)

      Oh ja, Christoph Maria Herbst ist ein Klasse Sprecher! Ich mag ja Hörbücher nicht so, aber ihm höre ich immer gerne zu!

      Löschen
  4. Hallo Alex,

    mir hat die Geschichte (hatte sie als Hörbuch gehört) richtig gut gefallen. Mich hatte die Story, natürlich toll erzählt von Christoph Maria Herbst, absolut in ihren Bann gezogen und es war definitiv nicht das letzte Buch von Matt Haig.

    Liebe Grüße,
    Uwe

    PS: Frohes neues Jahr wünsche ich dir noch :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Dir auch ein Frohes Neues Jahr, Uwe, danke!!! :)

      Oh, wenn Christoph Maria Herbst das liest, dann ist es auf jeden Fall ein Vergnügen. Ich mag ihn als Sprecher sehr gerne! Aber zum Lesen war es auch toll, trotz kleiner Kritikpunkte ;)

      Löschen

Ich würde mich über dein Feedback zu meinem Beitrag freuen! Ich beantworte die Kommentare immer direkt hier oder schreibe dir gerne auf deinem Blog zurück :)

Die zitierten Cover und Bilder sind Eigentum des jeweiligen Verlags bzw. Schriftstellers bzw. sonstigen Rechteinhabers und dienen nur zur Veranschaulichung. Bildquellen sind die jeweiligen Verlage, goodreads.com und pixabay.com